Ein Debütfilm, der es in sich hat. Regisseurin Alix Delaporte wagt sich an ein Sozialdrama im Milieu einfacher Fischer. Hier wird die Normandie nicht als Landschaft der Romantik verklärt, hier geht es ums Ganze, ums Überleben. Die Story lässt sich leicht umreißen: Angèle kommt nach zwei Jahren aus dem Gefängnis, möchte ihren Sohn zu sich holen, will „ganz normal“ leben. Über eine Annonce lernt sie Tony kennen. Doch beide lebten bisher in sehr, sehr verschiedenen Welten. Es sieht erst einmal gar nicht danach aus, dass sie zusammen kommen könnten.
Clotilde Hesme und Grégory Gadebois, hierzulande wohl weitgehend unbekannt, agieren in den Titelrollen und heben den Film weit über den Durchschnitt hinaus. Nichts da mit parfümierter Gefühlsduselei oder oberflächlichem Hoppla-alles-schick-Geplänkel. Die Beiden erschließen die Charaktere vor allem über deren soziale Prägung Da ist keine Zeit für Schmus. Insbesondere der Wandel von Angèle wird dabei sehr genau nachvollzogen. Was daran liegt, dass das Drehbuch stärker auf sie als auf den eher wortkargen Tony fokussiert. Sie ist es, die sich wandeln, die sich neuen Lebensumständen anpassen muss. Insofern ist die Konzentration auf sie absolut nachvollziehbar. Zumal Tony keineswegs nur Stichwortgeber ist. Grégory Gadebois hat eine wunderbare Präsenz. Er braucht nicht viele Worte und auch nicht die großen dramatischen Auftritte.
Alix Delaporte schenkt ihren Figuren scheinbar alle Zeit der Welt – und dem Publikum damit die Möglichkeit, sich sehr genau auf das Geschehen und auf die Protagonisten einzulassen. Action-Fans dürfen gähnen. Wer’s sensibel mag, wer neben einer spannenden Geschichte auch Schlaglichter aus dem Alltag ganz durchschnittlicher Menschen fern von irgendwelchem Glamour schätzt, wird das Kino begeistert verlassen.
Kleiner Einwand: Zum Ende hin verlässt die Inszenierung leider den Stil spröder Distanz und setzt auf ein, zwei doch etwas süßlich anmutende Momente. Das ist schade. Aber angesichts dessen, was vorher geboten wird, schaut man über diesen Makel gern hinweg. Zumal das Ende durch die zuvor angebotene kluge, stets präsente, sich aber nie aufdrängende Zeichnung der Arbeitswelt ausgeglichen wird.
Peter Claus
Angèle und Tony, Alix Delaporte (Frankreich 2010)
Bilder: KOOL Filmdistribution
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