Das Thema Gewalt dominiert das Kino derzeit in vielen Facetten. Dieses Drama, 2011 für den „Oscar“ als „bester nicht-englischsprachiger Film“ nominiert, fällt dabei gehörig aus dem Rahmen.
Ähnlich dem dänischen Auslands-„Oscar“-Gewinner „In einer besseren Welt“ verbindet der Film sehr Privates mit dem Weltgeschehen. Regisseur Denis Villeneuve blickt in den Libanon zur Zeit des Bürgerkriegs, der von 1975 bis 1990 dauerte. Doch die Geschichte beginnt in Kanada: Die Geschwister Jeanne (Mélissa Désormeaux-Poulin) und Simon Marwan (Maxim Gaudette) sollen nach dem Tod ihrer Mutter (Lubna Azabal) einen Wunsch der Toten erfüllen. Sie sollen in den Nahen Osten reisen und dort dem von ihnen seit Jahren für tot gehaltenen Vater und einem ihnen bisher unbekannten Bruder Briefe überreichen. Daraus folgt die Enthüllung düsterer Familiengeheimnisse im Bannkreis politischen Schreckens.
Die Erzählung wird aus den Perspektiven von Jeanne und Simon und von deren Mutter, die in Rückblicken präsent ist, entwickelt. Langsam und ohne Hektik, in geradezu unheilvoller Ruhe, wird das Schicksal der Toten erkundet. Der Film belässt dabei vieles in Andeutungen. Das soll auch hier so sein. Nur ein Stichwort: „Folter“. Die Auseinandersetzung damit führt im Kino oft zu brutalen Gewaltdarstellungen. Die gibt es in diesem Fall nicht. Der Erzählton bleibt geradezu nüchtern. Die daraus resultierende Wirkung ist enorm.
Denis Villeneuve hat ein Theaterstück des Libanesen Wajdi Mouawad verfilmt. Insbesondere das subtile Spiel der Darsteller bewahrt jedoch vor jeglicher Theatralik. Herausragend: Lubna Azabal. Selbst in extremen Momenten bleibt sie sehr zurückhaltend und deshalb eindringlich. Villeneuve unterstützt das, indem auch seine Inszenierung auf Zurückhaltung setzt. Das Mühen, grausame Wunden verheilen zu lassen, wird im Verlauf des Geschehens mehr und mehr zu seinem Hauptthema. Unsentimental zeigt er: Es gibt Wunden, die heilen nie. Oft sind das die, die daraus resultieren, dass gesellschaftliche Umstände Menschen in Ohnmacht treiben und damit zu Handlangern jener werden lässt, die das Zusammenleben der Menschen pervertieren. Und plötzlich erzählt der Film eine erschütternde Geschichte aus dem Hier und Heute.
Peter Claus
Die Frau, die singt, Denis Villeneuve (Kanada 2010)
Bilder: Arsenal Filmverleih
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