Potiche, Schmuckstück, ist ein Ausdruck, der in der heutigen Umgangssprache im Nachbarland Frankreich nur noch von den älteren Bildungsbürgern benutzt wird. Er meint einen hübschen aber nutzlosen Gegenstand. Die berühmte sprichwörtliche Vase, die Schwiegermutter einem zu Weihnachten schenkt, wird gern damit benannt – und ebenso eine Frau, die für ihren Angetrauten nichts als ein hübscher Zeitvertreib ist. Junge Franzosen wissen darum, haben das Wort jedoch kaum im aktiven Sprachschatz.
Der auf einer Boulevardkomödie beruhende Film „Das Schmuckstück“ spielt jedoch in einer Zeit, da „Potiche“ als Schimpfwort absolut gang und gäbe war. Die Titelfigur, das Schmuckstück, wird deshalb auch nicht grad schmeichelhaft eingeführt: eine füllige Matrone in gehobener Ausstattung, die den Morgen mit einem Waldlauf begrüßt. Man ahnt sofort, dass auch dieser Tag im Sommer 1977 für Suzanne Pujol (Catherine Deneuve) ein langweiliger wird. Diese Frau darf nichts sein als die „Frau an seiner Seite“. Er, Robert (Fabrice Luchini), ist vermutlich nur noch mit ihr zusammen, weil sie die Mutter der zwei erwachsenen Kinder ist, und weil ihr Geld ihn fesselt. Sie hat nur eine Statistenrolle. Robert aber, ein geldgeiler Regenschirmfabrikant, trudelt ins Aus: Herzinfarkt. Er liegt im Krankenhaus. Ein Streik seiner Arbeiter hat ihn aus den teuren Latschen kippen lassen. Suzanne übernimmt seine Position. Gleichsam im Handumdrehen reift sie zur erfolgreichen Geschäftsfrau. Sogar den kampflustigen Gewerkschaftsboss Maurice Babin (Gérard Dépardieu) wickelt sie ein.
Der Erfolg macht Suzanne selbstbewusster und schöner. Maurice weiß, dass sie hier Talente ihrer Jugend wieder auffrischt. Vor Jahrzehnten nämlich hat Suzanne manche Schlacht im Kampf mit dem angeblich starken Geschlecht gewonnen. Keusch ist nur das Kostüm, das sie trägt. Robert dreht durch. Er macht auf Macho und will die Angetraute wieder in ihr Mauerblümchen-Dasein zurück drängen. Doch sie muckt auf. Eine Schlammschlacht ist die Folge, ausgetragen mit höchst zweifelhaften Mitteln.
Wie bei seinem bisher größten Publikumserfolg, „Acht Frauen“ (2002), hat Autor und Regisseur François Ozon erneut ein Bühnenstück adaptiert. Wieder gelingt ihm eine knackige Komödie, geprägt vor allem von pointierten Dialogen. Für Hauptdarstellerin Catherine Deneuve ist der Film ein wahres Geschenk. Locker trumpft sie mit souveräner Selbstironie auf. Ein Genuss. Wenn sie schließlich mit Gérard Depardieu eine Liebesszene aufs Parkett einer Disco legt, geht einem das Herz vor Wonne auf.
Am Ende, das überrascht angenehm, bekommt der bonbonbunte Spaß einen leicht bitteren Beigeschmack. François Ozon fragt da deutlich, was wohl in den letzten zwei, drei Jahrzehnten schief gelaufen ist, dass die bürgerliche Welt im Westen Europas doch recht erheblich aus den Angeln gehoben wurde und in Schieflage geraten ist. Da wird’s dann für einen kurzen Moment handfest politisch – und die kleine Komödie erreicht eine verblüffende Größe.
Peter Claus
Das Schmuckstück, François Ozon (Frankreich 2010)
Bilder: Concorde Filmverleih
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar