Mafia macht sich gut im Kino. Leinwandopern wie „Der Pate“, „Der Sizilianer“ oder „Es war einmal in Amerika“ haben exzellenten Schauspielern reichlich Gelegenheit gegeben, faszinierende Studien des Bösen zu betreiben. Der Mafioso als Typus erfuhr dabei aber auch, ob gewollt oder nicht, eine unzulässige Romantisierung. Selbst im italienischen Kino gab es in den letzten Jahren nur wenige Spielfilme, die dem Thema – bei allem legitimen Verlangen nach Unterhaltung – auch nur halbwegs gerecht wurden. „100 Schritte“ und „Gomorrha“ sind in den vergangenen zehn Jahren die beiden Mafia-Filme, die den Alltag des Verbrechens bar jeder Heroisierung zu spiegeln versuchten.
Michele Placido nun setzt in seiner Filmbiographie des Mailänder Mobsters Renato Vallanzascas kräftig auf Bilder einer Heroisierung: Vallanzasca, Jahrgang 1950, entwickelt schon in frühen Jugendjahren in Mailand eine ungemeine kriminelle Energie, die er gezielt für eine Karriere im Milieu des organisierten Verbrechens einsetzt. Zahlreiche Überfälle machen ihn berühmt-berüchtigt. Gefängnisaufenthalte können ihn nicht stoppen. Das Spannende daran: Renato Vallanzascas versteht es, sich in den Medien als begehrenswerter Casanova und Gentleman-Gangster darstellen zu lassen.
Kim Rossi Stuart spielt diesen Mann außerordentlich überzeugend. Es ist die bisher vielleicht beste Leistung des knapp 40-Jährigen, der seinen guten Ruf in den letzten Jahren in seiner Heimat vor allem als Theaterschauspieler gefestigt hat. Immer zugleich charmant und teuflisch wirkend, zeigt er einen Menschen, dessen Taten ihn fast als eine Personifizierung des Bösen erscheinen lassen. Rossi Stuart überzieht nicht einmal, selbst dann nicht, wenn das Aufbrausende, ja Hysterische, die Figur dominiert.
Leider ist die Inszenierung von Michele Placido nicht gleichermaßen konsequent. Was schon dem Drehbuch anzulasten ist, an dem -zig Leute rumgedoktert haben. Die Handlung wirkt zerfahren, gestückelt, oft sogar ausgedacht da, wo tatsächlich Fakten umgesetzt werden. So schön es ist, wenn keine Dialogfluten sprudeln. Doch hier zeigt sich: Zu wenige Worte können manchmal auch problematisch sein. Zwischen all den gut choreographierten Actionmomenten und den Bildern der selbstverliebten Eigeninszenierung Renato Vallanzascas wäre die eine oder andere erhellende Dialogzeile nicht schlecht gewesen. So nämlich verselbständigt sich all das Morden und Rauben denn doch zu sehr.
Regisseur Michele Placido gestand in einem Interview, er habe Vallanzasca „ein wenig verherrlicht“. In Italien hat der Film nach seiner Uraufführung beim letzten Internationalen Filmfestival in Venedig im September ziemlich viel Entrüstung hervorgerufen. Hinterbliebene von Opfern beispielsweise haben protestiert. So verständlich das ist, so albern ist es doch, denn es dient allein dem Geschäft an der Kinokasse und nicht einer wirklichen Auseinandersetzung. Die aber findet im Film – und das steht groß auf dessen Habenseite – durchaus statt. Sosehr der Anti-Held im Zentrum steht, wird doch sehr klar gezeigt, welches Elend er anrichtet, und wie leicht es ihm in einem Land gemacht wird, in dem das organisierte Verbrechen das Dasein der so genannten kleinen Leute zu fast einhundert Prozent kontrolliert und diktiert, selbst wenn eine Rentnerin zum Arzt muss, junge Leute ein Wohnung suchen und so weiter… – jede Pizza durchläuft wahrscheinlich nicht die Kontrollen der Gesundheitsbehörden, die der Mafia garantiert.
Nein, „Engel des Bösen – Die Geschichte eines Staatsfeindes“ ist kein Meilenstein in der filmischen Auseinandersetzung mit der Mafia. An die vor Jahrzehnten in Italien gedrehten Meisterwerke eines Francesco Rosi oder Damiano Damiani zum Thema reicht dieser Film nicht heran. Aber: Er zeigt ungeschminkt, dass es mitten in Europa ein Land gibt, in dem alle Kultur von der Unkultur des Verbrechens abhängt. Wer nur ein bisschen darüber nachdenkt, dem bleiben nach dem Kino die Spaghetti im Halse stecken.
Der wirkliche Renato Vallanzasca muss übrigens noch eine Haftstrafe absitzen, die sehr viel länger ist als ein Menschenleben. Allerdings: Seit knapp einem Jahr darf er täglich von 07:30 Uhr bis 19:00 Uhr das Gefängnis verlassen, um in einer Werkstatt am Rande von Mailand zu arbeiten. Dort hilft er beim Recyceln von Abfall. In Italien laufen Wetten, wann er wieder mit seiner alten Profession für Schlagzeilen sorgt.
Peter Claus
Engel des Bösen – Die Geschichte eines Staatsfeindes, Michele Placido (Italien/Frankreich/Rumänien 2010)
Bilder: Fox
- „Rosenmontag For Future“ Oder: Lachen schult das freie Denken - 9. Februar 2020
- Thilo Wydra: Hitchcock´s Blondes - 15. Dezember 2019
- Junges Schauspiel am D’haus: „Antigone“ von Sophokles - 10. November 2019
Schreibe einen Kommentar