Gibt es noch Neues über den Krieg zu erzählen? Der Ire Jim Sheridan liefert das Hollywood-Remake des dänischen Anti-Kriegs-Dramas gleichen Titels aus dem Jahr 2004 von Susanne Bier – und er erzählt Neues. Im Zentrum stehen der Armeeangehörige Sam (Tobey Maguire) und seine Frau Grace (Natalie Portman). Zusammen mit ihren zwei Kindern leben sie bescheiden und zufrieden. Eine Idylle. Sams Vater Hank (Sam Shepard), ein Vietnam-Veteran, ist stolz auf das, was sein Sohn erreicht hat. Besonders glücklich macht ihn, dass Sam nun seinen schon vierten Afghanistan-Dienst antreten kann. Der Krieg in der Ferne ist allen nichts als harmlose Routine. Störend ist nur eins bzw. einer: Sams jüngerer Bruder Tommy (Jake Gyllenhaal). Der wurde gerade aus dem Knast entlassen. Ein Tunichtgut. Ein Bankräuber. Für den Vater existiert er eigentlich gar nicht mehr. Aber das ist zu verschmerzen. Dann aber kommt eine furchtbare Nachricht. Sam ist in Afghanistan umgekommen. Die Familie stürzt in ein psychisches Trauma. Nur Tommy bleibt handlungsfähig. Er versucht, die Stelle seines Bruders einzunehmen. Dabei zeigt er eine ungewöhnliche Sensibilität. Grace beginnt, so etwas wie Liebe für ihn zu empfinden. Gibt es eine erneute Chance auf Glück? Es gibt sie nicht. Denn Sam lebt. Er kam nicht um, sondern wurde zusammen mit einem Kameraden von Taliban verschleppt und gefoltert. Die Geschichte bleibt im ganz Privaten vom Grauen des Völkermordens gezeichnet.
Jim Sheridan, der schon mit „Im Namen des Vaters“ (1993) und „In Amerika“ (2002) großes Kino zu großen Menschheitsfragen geboten hat, packt von der ersten bis zur letzten Szene. Die Übertragung der Vorlage auf US-amerikanische Verhältnisse ist rundum gelungen. Sheridans Inszenierung, die ganz auf die Schauspieler vertraut, gelingt es sofort, hochexplosive psychologische Spannung zu etablieren. Die Kälte, das Abgezirkelte, das die Familienszenen des Beginns bestimmt, lässt sofort die düstere Ahnung aufkommen, dass die vorgeführte Idylle nur Schein ist. Wenn dann später Kriegsszenen gezeigt werden, kommt nicht ein Hauch falschen Abenteuers auf. Rasch wird die Zielrichtung klar: Der Film beleuchtet das Danach, das Dasein von Kriegsopfern, die nicht ihr Leben ließen, die aber nichts sind als wandelnde Tote.
Schlechte Regisseure ließen die Schauspieler auftrumpfen und würden vermutlich mit kräftig-sentimentalem Musikschmalz das Publikum manipulieren wollen. Nichts davon hier. Die leisen Töne, das Unausgesprochene, treiben die düstere Erzählung voran. Wenn Sam dann wieder zuhause ist, kommt beinahe Krimispannung auf: Dieser Mann ist kaputt, Misshandlungen haben ihn gebrochen. Aber auch er hat offenkundig Schuld auf sich geladen. Man fürchtet, dass er plötzlich völlig zusammenbricht und zur rasenden, blindwütigen Mordmaschine werden kann. Tobey Maguire spielt das mit gänsehautträchtiger Intensität. Mit ihm brillieren Natalie Portman, Sam Shepard und Jake Gyllenhaal. Ohne vordergründige Agitation strafen sie alles Gerede von gerechten, unausweichlichen, notwendigen Kriegen, Lüge. Eine brillante Ensembleleistung. Die Akteure ermöglichen es dem Regisseur, ganz vieles unausgesprochen zu lassen. Man sieht ihnen an, was das Verbrechen sanktionierten Mordens auch aus Nichtbeteiligten machen kann. Die Leere in ihren Augen, wenn der Schrecken sie im Würgegriff hält, wird wohl niemand vergessen.
Peter Claus
Brothers, Jim Sheridan (USA 2010)
Bilder: Koch Media
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