Report einer Selbstbefragung
Die in Deutschland lebende, aus Südafrika stammende Regisseurin Pia Marais wurde durch „Die Unerzogene“ bekannt. Dieses Debüt brachte ihr vor drei Jahren beim Festival in Rotterdam gleich einen Preis. Darin entwirft sie über ein Gruppenporträt das vielschichtige Bild der westeuropäischen bürgerlichen Gesellschaft. In ihrem zweiten Spielfilm liefert sie erfreulicherweise keine Kopie. Diesmal entwickelt sie detailfreudig das Psychogramm einer einzelnen Frau, die an sich und an eben dieser Gesellschaft zweifelt
Sonderlich aufregend klingt das Sujet nicht: Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Gab’s schon x-Mal. Pia Marais aber macht daraus eine spannende Studie über die Verlorenheit des Einzelnen in der durch die Globalisierung neu gestalteten Welt.
Die französische Star-Schauspielerin Jeanne Balibar verkörpert die Frau aus dem Titel, Ellen, eine Stewardess. Als sie von ihrem Freund verlassen wird, stürzt die 40-Jährige in tiefe Verzweiflung. Spontan verlässt sie ihr bisheriges Leben, auch den Job als Stewardess. Sie streunt herum, im wirklichen und im übertragenen Sinn. Schließlich landet sie in einer leicht anarchistisch angehauchten Kommune von Tierschützern. Sie selbst ist wohl die letzte, die glaubt, dass sie hier Erfüllung findet. Oder vielleicht gerade hier? Diese Frage sorgt äußerlich für eine gewisse Spannung. Entscheidender aber ist, wie die innere Wandlung Ellens gezeigt wird. Die Regie lässt sich Zeit, geht sehr behutsam voran, beobachtet meist aus einer gewissen Distanz. Das bewahrt die Figur der Ellen davor, zur Heldin stilisiert zu werden. Bedauernd anzumerken ist, dass einige Szenenfolgen im Milieu der Tierschützer zu ausgedacht anmuten. Doch das strenge, schnörkellose Spiel von Hauptdarstellerin Jeanne Balibar fesselt durchweg und lässt kleine Schwächen des Drehbuchs übersehen. Gerade die Zurückhaltung im Spiel von Balibar hält das Interesse des Zuschauers wach, zwingt ihn, genau hinzusehen und hinzuhören. Ein bisschen ist das, wie bei einem guten Vortrag: Hat er Gehalt, müht sich das Auditorium darum, kein Wort zu verpassen, wie leise ein Redner auch sprechen mag.
Neben der Hauptdarstellerin besticht die Gestaltung, insbesondere die optische. Ellens Zweifeln an der Welt und an sich selbst spiegelt sich konturenscharf in Bildern, die die Leere eines ganz aufs Materielle ausgerichteten Lebens bloß legen. Für Action-Fans ist das nichts. Für alle, die Filme schätzen, in denen nicht alles erklärt wird, da erst die Erfahrungen des einzelnen Zuschauers die Geschichte abrunden, ist der Film überaus zu empfehlen.
Peter Claus
Im Alter von Ellen, Pia Marais (Deutschland, Frankreich 2010)
Bilder: RealFiction
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23. Januar 2011 um 23:34 Uhr
tut mit leid, dass ich der kritik in keinem, aber auch wirklich in keinem punkt folgen kann. ich habe selten einen so schlechten film gesehen. der wille zur pathetisch-politischen metapher (globalisierung, afrika, kindersoldaten) kreuzt sich hier mit handwerklichem unvermögen. denn die „innere wandlung“ ellens ist so wenig überzeugend dargestellt, dass ich während der vorstellung mehrmals das gefühl unterdrücken musste, sofort raus zugehen. da ist mir der vom gleichen rezensenten an gleicher stelle brüsk als „breit getretener seelenquark“ abgefertigte film http://www.getidan.de/film/peter_claus/20343/elly-ab-06-01-2011„elly“ tausendmal lieber. denn all das, was marais nicht kann, beherrscht asghar farhadis superb!
19. Februar 2011 um 18:41 Uhr
Hmmm,
bitte lieber nichts schreiben als diese erniedrigende Todschiess Sätze. Was Marais kann konntest DU nicht. Das ist schon mal klar.