Meldung: Bei einer feierlichen Gala hat die Kreisstadt Neunkirchen den 1. „Günther Rohrbach Filmpreis“ verliehen. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ging an die WDR-Produktion „Unter dir die Stadt“ (Regie: Christoph Hochhäusler) mit Nicolette Krebitz in der Hauptrolle.
Dazu ein Essay von Michael André:
Tote Stadt und untote Banker
In der alten saarländischen Hüttenstadt Neunkirchen wird erstmals der Günter-Rohrbach-Filmpreis verliehen –Doppelsieg für Hochhäuslers Film aus der Endzeit des Kapitalismus – Wenn Film zum Glamourfaktor für die Provinz wird und Festivals an die Stelle der alten Film-Clubs treten
Die Einladung zum ersten Günter-Rohrbach-Filmpreis in Neunkirchen kam spät und löste ambivalente Gefühle aus. Freude, weil durchgesickert war, dass im Saarland einer der eigenen Filme aussichtsreich auf einen Preis war; Verwunderung, weil die Welle der Neugründungen an Filmfestivals und Auslobungen von Filmpreisen nun auch schon Kleinstädte erreicht, die auf der cinematographischen Landkarte Deutschlands bislang blinde Flecken waren. Doch wer suchet, der auch findet. So hat ein wendiger Oberbürgermeister sich erinnert, dass der mittlerweile 83jährige Günter Rohrbach, vom Lokalblatt Saarbrücker Zeitung auf einer Sonderseite als „Lichtgestalt des deutschen Films“ gefeiert, ein Sohn Neunkirchens war. Spielt es da eine Rolle, dass Rohrbach mehr die Rolle des verlorenen denn des alle Zeit heimatverbundenen Sohns erfüllt? Keine. Jedenfalls nicht, wenn es um das Image einer nahezu vergessenen Stadt geht. Rohrbach, früher Fernsehspielleiter beim WDR und danach Chef der Bavaria-Filmstudios, zeigte sich nach anfänglichem Zögern aufgeschlossen für die Idee, einen auf seinen Namen getauften Filmpreis ins Leben zu rufen und ging zusammen mit Senta Berger und drei Lokal-Prominenten auch in die Jury. Man muss Stifter wie Patron zu Ehren halten, dass sie einen thematisch originellen Aufhänger gefunden haben, um ihren Newcomer-Event in der deutschen Filmlandschaft zu platzieren. Filme, die sich schwerpunktmäßig mit „Arbeitswelt und Gesellschaft“ beschäftigen, sollten eingereicht werden. Was in Zeiten der ausgehenden Arbeit in einer post-industriellen Gesellschaft ein spannendes Unterfangen sein kann. Denn die Ära der heroisch-tragischen Arbeiterfilme, wie sie ein letztes Mal die 68er Filmemacher feierten, ist endgültig vorbei. Statt der chronisch wiederkehrenden Zyklen von Konjunktur und Depression ist die Krise zum prekären Dauerzustand geworden. Sie löst Angst, Hysterie wie auch Apathie aus. Die alten Formen des Streik-Protests und offenen Widerstands erweisen sich als weitgehend stumpfe Waffen. Im Leben wie im Film.
Interessant nimmt sich Christoph Hochhäuslers Film „Unter dir die Stadt“ dieser Aufgabe an. Er erzählt von spekulativen Transaktionen in der Bankenwelt und abgründigen Liebschaften. In seiner Verrätselung ist der Film auf seinem Feld in Deutschland eine Rarität, doch bei der Kino-Auswertung ist er wenig geliebt bei Publikum wie Filmkritik geblieben. Die Rezeption bei der Weltpremiere in Cannes war eher lau, die deutschen Kritiker verhielten sich weitgehend verständnislos. Sie erblickten in Hochhäuslers drittem Spielfilm „nicht mehr als eine Finanz-Milieu-Studie“, im Stil „anteilnahmslos wie der Bericht einer Unternehmensberatung.“ Und sie verargten ihm, nicht genügend „mitreißend“ (Der Spiegel) zu sein.
Der neue Filmpreis ergriff tatsächlich die Chance, diesen im Kino schon durchgereichten Film in Erinnerung zu rufen. Erst sprach die Jury Hochhäusler den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis zu und gab auch noch Nicolette Krebitz 5.000 Euro für den Darstellerpreis, dann betrieb Dominik Graf als Laudator eine fulminante Rehabilitierung. Graf, dem Produzenten Günter Rohrbach („Die Sieger“) wie dem Regie-Kollegen Hochhäusler („Dreileben“) gleichermaßen verbunden, interpretierte „Unter dir Stadt“ mutig als moderner Vampirfilm, bevölkert mit lauter untoten Bankern, die sinnentleerten, sinistren Geldgeschäften nachgehen. Einer von ihnen (Robert Hunger-Bühler) hat sich immerhin noch eine Sehnsucht nach authentischem Leben bewahrt. Diese Gier führt ihn zu einer eigensinnigen jungen Frau (Nicolette Krebitz) und sie lässt ihn gleichzeitig tragisch schuldig werden, weil er den Mann der Geliebten in die Fremde und in die Gefahr schickt. Der biblische Mythos von David und Bathseba scheint in der glitzernden Bankenmetropole Frankfurt auf.
Nun ist Neunkirchen nicht Frankfurt. Die Stadt liegt im Südwesten der Republik, Frankreich und Luxemburg sind nah und doch liegt ein Hauch von Verlorenheit und Gestrigkeit über der Region. Die Reise in eine verarmte Proletarierstadt, die sich trotzig „Stadt zum Leben“ nennt und inmitten einer grünen, zum Wandern einladenden Landschaft liegt, hat in den letzten Jahrzehnten einige tausend Einwohner verloren. Bis vor knapp 30 Jahren hat das saarländische Neunkirchen von und mit seinen Hüttenwerken gelebt. Typisch für diese Zeit, dass es der lokale Fußballverein zeitweilig sogar in die damals noch neue Bundesliga geschafft hat. Heute dümpelt die Borussia in der fünften Klasse und das einst legendäre Ellenfeld-Stadion ist ein paar Nummern zu groß für die Oberliga.
Wie sich Günter Rohrbach in seiner einfühlsamen Einführungsrede im Bürgerhaus so treffend erinnerte, lag ein Gemisch von Rauch, Abgasen und Dreck über der Stadt. Das dumpfe Grollen und Stampfen der Fabriken schien nie verstummen zu wollen. Dass 1933 der Gasometer explodierte, Teile der Stadt in Schutt und Asche legte und 68 Menschen bei dieser Katastrophe starben, ließ den Namen Neunkirchen ein paar Tage lang durch die Weltpresse gehen. Doch dann kehrte der graue Arbeits-Alltag wieder ein. Die Krisen der Weltwirtschaft gingen auch an der hügeligen Stadt abseits der Saar nicht vorbei. 1972 ging zunächst die Muttergesellschaft der auf Neunkircher Eisenwerk AG umgetaufte Konzern in Konkurs und ein Jahrzehnt war für die Nachfolgegesellschaft Saarstahl AG das alte Eisenwerk der Gebrüder Stumm wie schon zuvor die ehrwürdige Völklinger Hütte des Röchling-Konzerns überflüssig geworden.
Übrig geblieben ist in Neunkirchens Mitte aus der großen Zeit von Stahl und Eisen ein riesiger eiserner Dinosaurier, der über Nacht funktionslos geworden war und plötzlich als hässliches Monstrum in der Stadt wahrgenommen wurde. Teil-Abriß und Umwidmung hieß die Devise. Vom alten Eisenwerk sind nur noch einige augenfällige Wahrzeichen vorhanden, und die beherbergen für einen Hooters-Klub – der US-Stützpunkt Ramstein und die GI sind nicht fern, ein stolz „Cinetower“ genanntes Miniplex mit drei Leinwänden und andere Freizeit-Vergnügungen. Die Produktion ging, der Konsum hielt Einzug. Heute stehen McDonald’s und der denkmalgeschützte Wasserturm in trauter Eintracht nebeneinander. Wobei das gelbe M im Emblem des Burger-Konzerns alles andere überragt.
Zur größten Attraktion des post-industriellen Neunkirchen aber ist das Saarpark Center geworden. Ein Ladenzentrum, das viele Besucher von Auswärts anzieht und in dem scheinbar unaufhörlich getrunken und gefuttert wird. Ein Kommerztempel mit lauter notorisch bekannten Filialisten als Mietern, der um den Preis seines eigenen Erfolgs alles Leben aus der Stadt gezogen hat. Ein moderner Vampirismus spielt sich hier ab. Hier gibt es anders als in Hochhäuslers Frankfurt keine eleganten Banker und keine mondänen Werbemiezen. Hier geben durchschnittliche Menschen den Ton an. Menschen, die von einem modernen Immobilismus befallen scheinen. Freizeit aber ist reichlich vorhanden und in der Einkaufsmaschine Saarpark wird alles geboten. Außerhalb des Saarparks, da stehen die Läden leer und in den verbliebenen Geschäften sammeln sich Staub und Gestrigkeit. Die atemraubend steile Hüttenbergstraße erklimmt längst keine weltrekordverdächtige, weil auf Zahnradantrieb auskommende Straßenbahn mehr. Unten auf dem Stumm-Platz hat der Firmen-Patriarch von seinem Sockel keinen Blick für ein altes Kino. „König Stumm“, wie ihn Bismarck spöttisch-anerkennend genannt hat, wendet dem „Corona“ den Rücken zu. Am Abend leuchtet die Anzeigetafel zwar noch strahlend hell von der Wand eines düsteren, leer wirkenden Bürohauses. Im „Corona“ werden keine Filme mehr gezeigt. Der Eingang zum Foyer ist dunkel, die Schaukästen leer. Am Abend wird Filmpreis-Namensgeber Günter Rohrbach vom „Corona“, mutmaßlich einem Vorkriegsbau, als dem Ort sprechen, wo in der Nazi-Zeit die „Preußen“-Filme der UFA liefen. Filme von zweifelhafter Größe, die nach Kriegsende, also in der französischen Ära im Saarland, im Kino von intimen Liebesgeschichten abgelöst wurden. Die gefielen Rohrbach schon besser, auch wenn sie nur in einem Vorstadtkino liefen und ihr Besuch für den Gymnasiasten Rohrbach immer mit einer Radtour verbunden war. Aber auch solch Arthaus-Filme haben in der aktuellen Kino-Landschaft von Neunkirchen und vieler anderer Provinzstädte keine Chance mehr. Auch nicht Rohrbachs jüngster Film „Hotel Lux“. Trotz Bully Herbig, trotz Constantin-Verleih.
Die Neunkircher Gastgeber waren am Ende des erfreulich übersichtlichen Abends stolz, ihre Preisverleihung unfallfrei über die Bühne gebracht zu haben. Sieht man mal von der Tatsache ab, dass ausgerechnet die zwei Haupt-Preisträger in der Garderobe eine halbe Stunde lang vor lauter anderem Trubel vergessen worden sind, ist alles recht problemlos verlaufen.
Das riskante Oscar-Verfahren, alle Nominierten und ihre insgesamt fünf Filme einzuladen und die Preisträger in Anwesenheit der Verlierer erst während der Veranstaltung zu küren, ist aufgegangen. Und fürs nächste Mal – es soll ein nächstes Mal geben – verspricht der Oberbürgermeister noch eine Steigerung. 2012 soll das neue Theater fertig sein und der Filmpreis soll dann im alten Walzwerk verliehen werden. Wo das Jahr über Musicals wie „Stumm“ laufen. Das übersichtliche Bürgerhaus, ein typischer Bau der 1970er Jahre und Schauplatz der Filmpreis-Premiere, wird dann ausgedient haben.
Jeder der fünf nominierten Filme wurde vor der Preisverleihung an einem Abend im „Cinetower“ gezeigt. Fernsehfilme wie Rainer Kaufmanns „Blaubeerblau“, Elmar Fischers „Im Dschungel“ , Tim Tragesers „Die Lehrerin“ (Sonderpreis für Schauspielerin Anna Loos); Kinofilme wie Christian Züberts „Dreiviertelmond“ und Hochhäuslers „Unter dir die Stadt“ erhielten während der Filmwoche eine neue Öffentlichkeit. Die beiden Kinofilme erreichten ein Publikum, das ihnen bei der regulären Auswertung mutmaßlich verschlossen blieb. Die drei Fernsehfilme zeigten, wie stark die Grenzen zwischen kleiner und großer Leinwand verschwimmen. Was beweist: Kino-Festivals unterhalb der A-Kategorie wie auch Filmpreise mit angeschlossener Programmwoche erfüllen heute eine Funktion, wie sie in den frühen 60er Jahren die Kino-Clubs und später die Programmkinos hatten.
In diesem Moment – und nicht nur in diesem – ist es in Neunkirchen wie im Ruhrgebiet, wo 2009 der Europäische Filmpreis in der monströs großen Bochumer Jahrhunderthalle stattfand. Die Industrie-Metropolen von Gestern rüsten kulturell auf und wollen Anschluss gewinnen. Mit Hilfe des Films. Als Glamourfaktor auf diesem Niveau ist das Kino immer noch gut genug. Auch wenn danach gleich wieder der Alltag einkehrt. Doch dafür beginnt dann anderswo ein neues Festival, wird ein anderer Preis verliehen.
Michael André
WDR-Redakteur und Filmdramaturg. Im Fall von „Unter dir die Stadt“ schreibt er eingestandenermaßen parteiisch. Er hat den Film bis zur Realisierung 2010 betreut.
Bilder: „Unter Dir die Stadt“, Pfiffl Medien
Unter dir die Stadt
D 2010
Regie: Christoph Hochhäusler
Darsteller: Nicolette Krebitz, Robert Hunger-Bühler, Mark Waschke
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Deutsch (Stereo)
Untertitel: Englisch
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Spieldauer: 110 Minuten
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1. Dezember 2011 um 20:30 Uhr
Ich finde es sehr schön, dass UNTER DIR DIE STADT diesen Preis gewonnen hat: kontra der deutschen Filmkritik wird sich der Film über die Zeit als kleines Meisterwerk des deutschen und europäischen Kinos beweisen. Die Beschreibung der Laudatio, die Graf gegeben hat, hört sich vielversprechend an; wäre schön, wenn man sie lesen könnte. Die Ironie, dass ausgerechnet Christoph Hochhäusler als Erster den Preis gewinnen durfte, wird Wahrscheinlich den meisten der Preisverleihung Anwesenden nicht klargewesen sein: der Regisseur ist kein Freund des deutschen Filmpreis, dessen erster Präsident Rohrbach war, und hat das öffentlich auch (polemisch) kundgetan, sehr zum Unwollen Rohrbachs, der seinerseits wiederum in seinem “Autisten” Essay im SPIEGEL die deutsche Filmkritik angriff ob der von seiner Seite aus gesehenen unverhältnismässigen Kritik an Filmen wie DAS PARFUM und Lob für Valeska Grisebachs SEHNSUCHT und—man höre und staune—Hochhäuslers Erstling, MILCHWALD…