Das ist kein Film über die griechischen Verhältnisse, das hier ist ein Film über die Verhältnisse. Die Verhältnisse, wie sie sind. Das Anschreien, das Schweigen, die Scham und der Selbstmord, die Schulden, das Abschieben der Alten, der Betrug, der Sex, Aug in Aug der kalte Vollzug usw. Das sind die Verhältnisse. Es sind nicht “die Griechen”. Aber vielleicht hat es mit den Verhältnissen zu tun, dass ein Grieche einen solchen Film machen kann.
A Blast ist eine Vernichtung. Um die geht es in diesem Film. Als Ausgangspunkt und nicht als Ende. Es geht um die Tatsache, dass das Menschenrecht auf Glück was kostet und dass es sich damit selbst erledigt hat. Und anders als die Tragik-Komödie aus Hollywood (Birdman), kann dieser Film zeigen, um was es geht: die vernichtenden Verhältnisse, die wir verlässlich reproduzieren mit unseren Werten. Anders als die oscarpremierte Selbstbespiegelung, die alles bespiegelt, nur nicht das Selbst, das durch Wert produziert wird, bannt dieser Film den Zuschauer, indem er zeigt, was ist. Wie alles zusammenläuft, vom Heiratsantrag im Rausch bis zum Ende, bei dem alles auseinander fliegt. Von der wilden, bewusstlosen Begierde bis zur Erkenntnis, dass all das nur von einer anonymen, unsichtbaren Mächtigkeit als Aufhänger genutzt wird, um Werte zu reproduzieren. In dieser Vernichtung zeigt sich das Ergebnis der Werte. Das wesenlose Gespinst, das die Menschen zu dem macht, was Syllas Tzoumerkas in “A Blast” vorführt.
Maria verlässt den Konsens, die Mitte, den Kompromiss. Die Verhältnisse streben unaufhaltsam auf einen Punkt zu, an dem sie ihre fatales Ziel offenbaren müssen. Dort wo Maria die Schulden tatsächlich begleichen möchte, aber eine Bürokratie sie nicht beglichen haben will, weil sie nicht beglichen werden sollen. Der Wert der Schulden würde ohne Schulden aufhören zu existieren. Deshalb ist dies kein Film über die griechischen Verhältnisse, sondern über die Verhältnisse.
Die Montage dieser Verhältnisse zeigt ein Jetzt, das aus all dem besteht, was Geschichte ausmacht, ohne Geschichte zu sein. Chronologische Geschichte wird zum Phantasma und Zwangsinstrument, wenn sie dazu dient, sich damit zu beruhigen, zu wissen, wie es zu etwas kam. Schritt für Schritt, konsequent, logisch, folgerichtig. Und logischerweise ist es in der Folge dann richtig, wenn alles rekonstruiert ist, zu glauben, dass alles so kommen musste und dass in der Folge es auch immer nur so weiter gehen kann – mit den Werten, die wir zu verteidigen haben. Unseren abendländischen. Formal, schnitttechnisch, zerstört Tzoumerkas dieses Phantasma. Das Jetzt Marias ist ein abscheuliches Gebräu aus rauschhaften Hoffnungen der Begierde und einer fürchterlichen Ernüchterung. Das ist alles Jetzt. Menschen schreien sich an, ficken, schweigen verstockt, ficken weiter, bringen sich um, weil sie es nicht ertragen, was sie so lange zusammengelogen haben, sie ficken immer weiter, sie sind Schwächlinge und Nazis, lösen ineinander in Ekstase auf und kennen sich doch nie, da sie nicht verstehen ,was sie sind, weil sie es nicht sollen. Es ist völlig unnötig, hier Chronologie zu wollen. Im Gegenteil, die Chronologie reproduziert die Ordnung, die die Ursache der Vernichtung ist. Eine Geschichte zu fabrizieren, hieße, in der Struktur befangen zu bleiben, die die Vernichtung hervorgebracht hat.
Diese Vernichtung endet allerdings im Nichts als Anfang. Tzoumerkas gibt dabei nicht vor, eine Alternative zu kennen und die Menschenrechte, mit denen der Film ansetzt, zu denen eine Fahrt durch die Nacht führt und kein logischer und folgerichtiger Prozess, sind es jedenfalls nicht, die uns zu irgendwas verhelfen würden was wie eine Alternative aussähe. Von diesen Menschenrechten kann man reden, wenn man sie sich leisten kann. Die Werte aber, die uns dazu bringen nur noch zu schreien (wenn das Flugzeug in den Berg knallt) oder verstockt zu schweigen (wenn ein paar Hundert mit einem Seelenverkäufer in der Levante absaufen) sind nicht an Menschenrechten interessiert. Die galten schon immer vorzüglich für den weissen Mann, später sogar für Frauen, nicht aber für Kolonien, Schwarze, so genannte Ungesetzliche Kombattanten oder sonstige Nigger. Menschenrechte sind der schöne Traum zu Beginn von Tzoumerkas’ Montage, die, indem sie die Stränge verspleißt die wir ansonsten sorgfältig als Geschichte voneinander getrennt halten, offensichtlich macht, was diese Rechte wert sind: nichts nämlich ohne Kohle.
Die zentrale Stelle im Film, um das sich das vermeintliche Chaos eines a-temporalisierenden Schnitts faltet, besteht aus zwei langen, ruhigen Sequenzen, in denen zwei Frauen sprechen. Von dem, was ihnen widerfährt. Die erste spricht davon, wie sie geschlagen wird, wie sie ihre Narben befühlt, wie sie ihre Spüle anblickt, diese Sache, dieses Etwas, das in gleicher Weise existiert wie sie, als Gegenstand des Verbrauchs. Hinter ihr ein Schläger von Mann, den sie liebte. Sie erzählt wie sie spürt, dass nichts von dem mehr zu ihr gehört. Die Spüle, die Narben, der Mann. Dass sie tatsächlich aufhört zu existieren, dass sie ein Nichts wird. Die zweite Frau – Maria – spricht darüber, welche Konsequenz das hat: Da unsere Werte den Menschen zu einem Nichts machen, wird dieses Nichts eine notwendige Koordinate, von der man ausgehen muss. Marias Ausstieg ist die Konsequenz, die das Sein ohne Ereignis, die erbarmungslose Reproduktion des Wertes, beim Wort nimmt und damit ein Ereignis ermöglicht.
Die Vernichtung, die durch die Reproduktion der Werte erreicht wird, endet in einem leeren Etwas, das eine andere und völlig fremde Konfiguration möglich macht, aber man weiss noch nicht welche, natürlich nicht. Dazu müsste man das Kino verlassen.
Matthias Steingass
Text zuerst erschienen auf non
A Blast – Ausbruch, von Syllas Tzoumerkas (Griechenland / Deutschland / Niederlande 2014)
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