Anthony Minghellas Remake eines Rene-Clement-Klassikers
Mehr als einmal wird in Patricia Highsmiths Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ und in der gleichnamigen Verfilmung von Anthony Minghella die Frage gestellt, wer das eigentlich sei, dieser Mr. Ripley. Das Kino gibt darauf zunächst drei einfache Antworten: Er war Alain Delon in Rene Clements Nur die Sonne war Zeuge von 1960, Dennis Hopper in Wim Wenders‘ Der amerikanische Freund von 1977 und ist nun Matt Damon in der neuesten Verfilmung von Highsmiths erstem Ripley-Roman.
Diese zeit- und produktionsgebundene Vielgesichtigkeit passt gut zu einer Figur, die genau davon lebt, viele Persönlichkeiten, Gesichter und Identitäten in sich zu vereinigen. In der Version Damons und Minghellas, der mit seinem letzten Film Der englische Patient den Regie-Oscar gewonnen hatte, werden die multiplen Charaktere des Tom Ripley nun auf eine besondere Weise exponiert, oder besser: gedoppelt. Im Gegensatz zur Delon/ClementFassung folgt der Film seinem Protagonisten bedingungslos, wird sein Schatten und imitiert geradezu dessen Haltung anderen gegenüber.
Wir begegnen Tom Ripley zuallererst als mittellosem Party-Musiker in den USA der fünfziger Jahre – verlassen werden wir ihn einige Monate später als reisenden Mörder mit Hang zum Luxus in Europa. Dazwischen liegt eine Geschichte, die damit beginnt, dass Ripley von dem reichen Geschäftsmann Greenleaf (James Rebhorn) auf Grund eines geliehenen Jacketts als potenzieller Schulfreund seines missratenen Sprösslings Dickie (Jude Law) angesprochen wird. Ripley spielt das Spiel mit: Er behauptet, den Filius zu kennen und wird nach Italien geschickt, um den Playboy nach Hause zu bringen.
Dort dringt Ripley unter ähnlich falschen Angaben in das Leben Dickies und das seiner Freundin Marge (Gwyneth Paltrow) ein. Er wird ein Teil dessen, schmiegt sich an die Erwartungen beider an und wird so zum intimsten Freund von Greenleaf Jr.. Als der jedoch mehr und mehr hinter die wahre Identität Tom Ripleys kommt und- das ist sein Todesurteil – seiner überdrüssig wird, erschlägt ihn Ripley in Rage. Was bei Delon/Clement und Highsmith mit kühler Berechnung zu tun hatte, ist hier also zuallererst ein Akt von Enttäuschung, gekränkter Eitelkeit und Eifersucht – eine Reaktion. Gleichwohl schließt sich daran das ausgeklügelte Doppelspiel Ripleys an, der von nun an sowohl unter seinem als auch unter dem Namen des schwerreichen Toten lebt, in dessen Leben er sich schon zuvor verliebt hatte. Der erste fordert weitere Morde, bis auch diese Identität ausgereizt ist und eine neue Schutz verspricht.
Also noch einmal: Wer ist Tom Ripley? Diesmal eine Art mediokrer, langweiliger Verwandter von Woody Allens Zelig. Ein Mann, ein Junge, der darin aufgeht, nicht nur in andere Identitäten zu schlüpfen, sondern anderen das zu sein, was sie sich von ihm erhoffen. Weniger Schauspieler als Spiegel, könnte das eine interessante Figur werden, ihre Geschichte in jedem Sinne eine Reflexion, wenn sich der Film dazu hätte entscheiden können. Warum er dies nicht kann, hat vielleicht damit zu tun, dass Minghellas Der talentierte Mr. Ripley mit dem gleichen Phänomen zu kämpfen hat wie seine Titelfigur.
Jedes Bild dieses Films will als das erkannt werden was „es ist“. Italien der fünfziger Jahre? Vespas ohne Helm, Jazz-Schuppen, La Dolce Vita, Oper, Hochkultur, Sonne, Meer und verträumte Städtchen. Heutiges Hollywood-Kino über diese Zeit scheint dabei nicht auskommen zu können ohne den PatinaGelbstich und den Retro-Wahn, der aus jedem Dorfwinkel und Hotelzimmer sofort die Postkarte schustert, die wir schon immer bekommen zu haben geglaubt hatten. Venedig? Markusplatz!
Neben dieser Eigenschaft eines gefälligen Urlaubsdiavortrags sponsored by „Max“ oder „Amica“ will Der talentierte Mr. Ripley selbstredend auch die Fans von Matt Damon und Gwyneth Paltrow bedienen, deren Rolle eigens für diese Verfilmung um ein Vielfaches ausgebaut wurde. Darum darf z.B. Matt Damon auch etwas mit der verborgenen Homosexualität seines Helden kokettieren, der sogleich die etwaige Brisanz damit genommen wird, dass in diesem Film und diesem Italien Homosexualität auch in der Öffentlichkeit keineswegs selten scheint. Ein Zeit-, Ort- und Jugend-Phänomen gleichsam, das sich als solches mit dem interessierten Touristenblick auf das mäßig Exotische gut vereinbaren lässt. Urlaub vom Ich.
Schon nach kurzer Zeit ist darum der Reiz, den eine Figur wie Tom Ripley leicht besitzen könnte, genau dem Prinzip zum Opfer gefallen, nach dem er selbst funktioniert. Die Wunscherfüllung eines jeden zu sein, der oder die auf ihn zukommt, das bedeutet für Minghellas Film, die größte Akzeptanz mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen; was freilich auch alle Doppelcodierungen impliziert, die die Zielgruppe erweitern könnte. Eine Technik, die im gegenwärtigen Hollywood-Kino stärker denn je sichtbar wird und viel von der Situation des Film-Weltmarktes erzählt. So kommt es, dass wir am Ende – wenn die Zeit der tiefen Bekenntnisse gekommen ist – Ripleys geseufztes Lebensmotto ebenso als Geständnis dieses Films begreifen können und vielleicht auch sollen: „It’s better to be a fake somebody than a real nobody.“
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 01/ 00
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