Traumfabrik

Ben Youngers Film „Risiko“ über Nebenwirkungen des Börsenfiebers

Ein Geschäft und Spiel zugleich: Geld fließt, vermehrt sich und wird ein Vermögen. Aus Martin Scorseses Casino aus dem Jahr 1995 stammt eine der schönsten Sequenzen, die in den letzten Jahren zu diesem Thema gedreht worden ist. Dort sehen wir, wie das Geld mit der Kamera seinen Weg von den Spieltischen direkt in das „Tabernakel des Kasinos“, in den Zählraum, findet, wie es sich dort anhäuft und schließlich zu seinem neuen Besitzer gelangt.

Damit ist auch ein Moment des Börsengeschäfts beschrieben: Auch dort ist Geld kein sichtbares Ergebnis irgendeiner Arbeit, sondern taucht allein als Investitionsmasse auf. Es wird gesetzt, vielleicht mit System, vielleicht ohne, und später wird über Verlust oder Gewinn entschieden. Aber natürlich ist dies ein schiefes Bild. Schon länger dürfen wir selbst in jedem Wellness-Katalog lesen, dass Investitionen an der Börse nichts mit Glücksspiel zu tun haben. Im Gegenteil, Aktien sind ein Muss, Investmentfonds die obligate Altersvorsorge. Eine paradoxe Hysterie – wer nicht mitspielt, verspielt Geld.

Mit genau dieser Hysterie beginnt Risiko – Der schnellste Weg zum Reichtum, das Regiedebüt von Ben Younger und der erste Film zum aktuellen Börsenboom. Aus dem Off erzählt uns der 19-jährige Seth (Giovanni Ribisi) seine Geschichte. In allen Zeitungen und jeder Fernsehsendung sei ihm erklärt worden, jetzt müsse man „einsteigen“: „Und so stieg ich ein. Ein Geschäftsmann unter Geschäftsmännern.“

Seths Start als Börsenmakler beginnt in einer Firma, deren Standort – „eine Stunde von der Wall Street entfernt“ – schon viel über ihr Verhältnis zum traditionellen Maklerberuf aussagt. Die dubiose Arbeitswelt bei J.T. Marlin mutet Seth zunächst an „wie eine Hitlerjugend-Versammlung“, doch der rasende Erfolg, der allen Jungmaklern der Firma zuteil zu werden scheint, überzeugt ihn. „Wenn ihr meint, Geld macht nicht glücklich, dann seht euch das verdammte Lächeln in meinem Gesicht an“, lautet eine Formel seines Ausbildern. Nur mit Telefonaten werden hier Unmengen verdient, Seths neue Kollegen und Freunde Jim (Ben Affleck), Chris (Vin Diesel) und Richie (Scott Caan) sind Meister im Akquirieren von Kunden. Und am Ende gewinnt bei J.T. Marlin nur die Firma selbst.

Begleitet wird der Initiationsritus des Erfolgs von Seths verzweifeltem Kampf um die Anerkennung seines Vaters (Ron Rifkin). Der ist Richter und hatte von seinem Sohn „ein sauberes Leben“ verlangt, als dessen früheres Geschäft aufgeflogen war: Seth hatte nach Abbruch seines Studiums damit begonnen, in seinem kleinen Reihenhaus ein illegales Kasino für gut betuchte Schüler zu betreiben. Der neue Job soll nun den väterlichen Anspruch erfüllen, doch es dauert nicht lange, bis Seth und auch sein Vater dahinter kommen, dass J.T. Marlin alles andere als eine „saubere“ Firma ist.

Systematisch baut Risiko die Parallelen zwischen Seths Maklerjob und dem in seinem illegalen Minikasino aus. In beiden Fällen geht es darum, an das Geld anderer zu gelangen, und in beiden Fällen ist der Weg dahin das Versprechen von Gewinn. Risiko zeigt nicht ein einziges Mal die Wall Street, die Börse bleibt unsichtbar, ist höchstens als Projektion präsent. Hier existieren einzig Telefonate und jede Menge Lügen, mit denen potenziellen Anlegern eingeredet wird, sie müssten jetzt investieren. „Wenn sie ertrinken und jemand reicht Ihnen einen Rettungsring – greifen Sie dann nicht zu?!“ So wird das Spiegelbild jener Hysterie erzeugt, der auch Seth am Anfang erlegen war und mit der er nun an das Ersparte verunsicherter Normalbürger kommt.

In diesen Momenten können wir Ben Youngers Film auch als düstere Reflexion jener „Jetzt oder nie“-Euphorie begreifen, die zurzeit hierzulande die Massen und die Aktien ergriffen hat: Die Dringlichkeit stellt sich über ein Versprechen ein, in das wir investieren, wenn wir Infineon oder T-Online „zeichnen“. Indem Risiko das Aktiengeschäft ohne die Börse und damit quasi als grundloses Verkaufen von Träumen zeigt, ist er vielleicht näher am heutigen Geschehen als die Börsenberichte auf Phoenix oder N24.

Seths Traumjob jedoch wird im Laufe des Films mehr und mehr zu einem Ausgangspunkt, von dem aus sich ein typisch ödipales Melodrama der Männlichkeit entwickelt. Nachdem Seth hinter die kriminellen Machenschaften seiner Firma gekommen ist und sich das FBI auf seine Fersen gesetzt hat, verfolgt Risiko genau zwei Fragen: Wie kommt Seth da mit heiler Haut wieder heraus, und – viel wichtiger – wie gewinnt er die Liebe seines Vaters zurück? Ist er Manns genug? Damit nähert sich Risiko immer deutlicher Oliver Stones Börsengleichnis Wall Street (1987) an, das auch mehrfach herbeizitiert wird. Jeder von Seths Kollegen kann die Dialoge aus Stones Film mitsprechen, und wie in Wall Street kämpft sich die Kamera auch hier durch das Maklerbüro, als wäre es ein Kriegsschauplatz.

Der melodramatischen Vorhersehbarkeit steht in Risiko dennoch bis zum Ende jenes bemerkenswert fremde und dabei zugleich seltsam aktuelle Bild vom Aktiengeschäft entgegen. Es ist ein ganz und gar pessimistisches Bild, das dann doch wieder mit Martin Scorseses Casino zu tun hat. Wie sagt Robert De Niro dort: „All das haben wir einzig und allein arrangiert, um an Ihr Geld zu kommen.“

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 22/2000