Witzigkeit kennt Grenzen
Milos Formans Film „Der Mondmann“ zieht keine Lehre aus der eigenen Geschichte
Der Blick ins Publikum spricht Bände. Mit der Bereitschaft zum Lachen sitzt es da, unsicher lächelnd und unentschlossen, ob die Aufführung nun witzig ist oder peinlich. Die Entscheidung bleibt ihm bis zum Schluss selbst überlassen, denn der Mann auf der Bühne weigert sich standhaft, die gewohnten Muster von Professionalität zu erfüllen oder die Demarkationslinie zwischen Kunstfigur und Komiker zu zeigen.
„Andy, dein Auftritt ist dilettantisch, du singst Lieder für Sechsjährige!“, lautet die niederschmetternde Kritik. Offensichtlich verfolgt Andy Kaufman kein gängiges Erfolgsrezept. Und doch würden wir ihm kaum 16 Jahre nach seinem Tod in einem Hollywoodfilm über sein Leben wieder begegnen – in der Darstellung von Superstar Jim Carrey -, hätte dieser Unsinn nicht doch irgendwann einen profitablen Sinn gemacht. Mitte der siebziger Jahre wurde Andy Kaufman durch Auftritte in Saturday Night Live und durch seine Figur Latka in der Sitcom Taxi an der Seite von Judd Hirsch, Christopher Lloyd und Danny DeVito zu einem gefeierten Star-Komiker. Milos Formans Porträt Der Mondmann konzentriert sich auf diese Zeit des Aufstiegs – auf den gemäß der Dramaturgie einer runden Geschichte der Abstieg und schließlich auch der Tod folgen. Mit 36 Jahren starb Kaufman an Krebs.
Das Flair einer klassischen „Aufstieg und Fall“-Erzählung aber will zunächst nicht recht aufkommen. Wie sollte das auch funktionieren bei einer Figur, die stets im Unklaren lässt, was an ihrem Erfolg und Absturz gewollt, inszeniert oder unfreiwillig ist? Immerhin haben wir es hier mit einem Komiker zu tun, der glaubhaft versichert, er sei gar kein Komiker („Ich weiß nicht mal, was komisch ist“), der aber in jedem Fall „der größte Star der Welt“ werden will. Auf dem Weg dahin entscheidet er sich zum Beispiel, anstelle von Witzen lieber den Großen Gatsby in Originallänge vorzutragen, öffentlich mit Frauen zu catchen und neue Fans mit „Haltet die Schnauze!“ zu begrüßen. „Ich muss ihnen immer einen Schritt voraus bleiben“, erklärt er einmal sein Verhältnis zum Publikum.
Dieses permanente Spiel mit Erwartungen und Regeln versucht Der Mondmann als filmisches Prinzip zu übernehmen. Dazu gehören selbstreflexive Witze wie die Anfangssequenz, in der uns Carrey als Andy Kaufiman begrüßt und den Film nach einer kleinen Rede („Der Film ist furchtbar, er gefällt mir selbst nicht!“) kurzerhand für beendet erklärt. Stockend bringt Kaufman den Abspann zum Laufen, hält dann aber inne und startet für die verbliebenen Zuschauer („Wow, Sie sind ja immer noch da!“) endlich den „richtigen Film“. Cameo-Auftritte der alten Taxi-Crew und die Besetzung von Danny DeVito als Kaufmans Manager George Shapiro funktionieren ähnlich; selbstbezogenes Augenzwinkern allerorten. Zudem gibt es zunächst kaum Gelegenheit, sich mit dem Helden zu identifizieren. Dessen Programm ist eher eine Art vorauseilende Distanzierung von seinen Zuschauern. So sehen wir zu, wie Kaufman nach und nach seine Fans verliert. Seine Komik greift mit den Zuschauern die eigene Existenzgrundlage an. „Wir waren wie Punkrocker“, beschreibt Kaufman seine Show, und gerade angesichts dieses Scheiterns eines sonderbar dissidenten Einzelgängers offenbart Der Mondmann umso deutlicher, welcher Gruppe, welchem Konsens dieser Film zugehörig ist.
Unberechenbarkeit ist auch nicht mehr das, was sie mal war
Er ist die gefällige Fortsetzung einer seit Jahren durchexerzierten Spielform des postklassischen Kinos: selbstreferenziell und smart bis neunmalklug spielt Hollywood mit seinen Gesetzen, seinen Zuschauern und mit der Differenz zwischen Fiktion und Realität. Lakonische Film-im-Film-Kommentare sind ebenso Standard wie der ausgestellte Eiertanz um und mit Genre-Konventionen, der wie bei Scream längst in Serie hergestellt wird. Die Truman Show, Pleasantville und Ed TV können als Erfolg versprechende Vorläufer für Formans Film gelten. Der Mondmann verhält sich damit zu Andy Kaufman wie die aktuelle Regel, die zur Selbstbestätigung die frühere Ausnahme bebildert.
Noch auffälliger wird dieses symptomatische Kräfteverhältnis angesichts der speziellen Komik Kaufmans. Denn gerade dessen Konzept des sich selbst denunzierenden Witzes, der rüden Angriffe, des selbstironischen Umgangs mit den eigenen Möglichkeiten und Publikumserwartungen ist das prägende Prinzip der aktuellen Comedy-Kultur. Spaßtyrannen wie Harald Schmidt und Stefan Raab führen seit Jahren erfolgreich vor, wie man damit einen Markt bedient, in den Andy Kaufman seinerzeit nicht recht passen wollte. Das Herz und zugleich das Problem dieses Teils unserer Popkultur sind eben nicht schlechte oder gute Gags über wen auch immer, sondern ist die institutionalisierte Verhinderung jeglicher Möglichkeit von Subversion eben dort, wo die Behauptung von Subversion alles ist. Jede Überraschung und jeder Angriff ist immer schon Teil der Erwartungshaltung, ein notorisches Element der Verwertbarkeit: „Witzigkeit kennt keine Grenzen!“
Als Kaufman schließlich an Krebs zu sterben beginnt, hat Der Mondmann seine Hauptfigur so fest an sich gedrückt, dass der ehemals schwer fassbare Nichtkomiker gleichsam zu Tode geliebt wird. Erst jetzt ist er wirklich am Ende. Die traditionelle und aufdringliche Heroisierung des Außenseiters Andy Kaufmans auf dem Sterbebett wirkt vielleicht deshalb so seltsam falsch, weil sie die wichtige Ungewissheit gegenüber der Kunstfigur Kaufman pathetisch beenden will, und weil sie zu einer Zeit geschieht, in der seine gewiefteren Nachfahren längst alles gewonnen haben. Obwohl Der Mondmann die Verbrüderung mit seinem Helden behauptet, illustriert Formans Film somit nicht zuletzt eine Logik, die Frederic Jameson bereits Mitte der achtziger Jahre für die Kultur des Spätkapitalismus beschrieben hatte: „Auch für die Revolte der Postmoderne gegen die Tradition läßt sich sagen, dass ihre besondere Anstößigkeit heute niemanden mehr schockiert. All das wird mit größter Selbstgefälligkeit aufgenommen und gilt in institutionalisierter Form als Gütezeichen offizieller westlicher Kultur.“
Der Film zum Dilemma: Unfreiwillig könnte Der Mondmann dazu dienen, endgültig alle Erwartung an diese Form von Komik fahren zu lassen, sofern wir überhaupt etwas gegen die Herrschaft des Marktes einzuwenden haben. Denn die Verbundenheit mit Kaufmans Konzept (einen Schritt voraus sein), müsste heute bedeuten, einen Schritt über Kaufman hinaus zu sein.
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der: Zeit 04/ 00
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