Über die Barrikaden
Was der Himmel verbietet: Wie oft bei Ken Loach ist auch „Ae Fond Kiss“ ein heimliches Melodram
Weil Roisin kein Auto hat, fährt sie Casim nach Hause. Die blonde Frau muss sich ducken, als sie Casims Familie zu passieren drohen; seine Ehre steht auf dem Spiel. Gerade waren sie sich zum ersten Mal in der Schule von Casims jüngerer Schwester begegnet. Tahara hatte dort das westliche Bild „der Muslime“ kritisiert und sich stolz als eine Glasgower-pakistanische Teenager-Frau geoutet, bevor sie als Paki-Schlampe beschimpft wurde.
Hier könnte sofort die Klappe fallen. Danke, wir kennen das. Die ewigen Attribute zu Ken Loach kommen hoch: „Britains most political film-maker“, bekannt „für sein sozial engagiertes Filmschaffen“. Allein darauf reduziert wird aber eine besondere Kraft vieler Ken-Loach-Filme überdeckt, die auch in Ae Fond Kiss lebt. Das politische Engagement dieser Geschichten um die working class funktioniert über eine Erzähltechnik, die vor allem im Loach-Land so fern scheinenden Hollywood perfektioniert worden ist: das Melodrama. Auch die Liebesgeschichte zwischen Casim Khan (Atta Yaqub), dem DJ und Sohn pakistanischer Einwanderer in Glasgow, und Roisin Hanlon (Eva Birthistle), der jungen irischen Musiklehrerin seiner Schwester, reflektiert soziale, ökonomische und intime Beziehungen mit melodramatischen Mitteln.
Kein Anschwellen von Geigen- oder Orchesterklängen wie in Douglas Sirks Was der Himmel erlaubt – dafür ein Klavier und die melancholischen Klänge des schottischen Traditionals Ae Fond Kiss von Robert Burns. Auch hier ist eine „unmögliche Liebe“ bedroht, die vom Umfeld beider Seiten missbilligt wird: von Casims Eltern, die als gläubige Muslime bereits die Heirat Casims mit seiner Cousine Jasmine beschlossen und den dazugehörenden Anbau an das Einfamilienhaus fast fertig haben – und von der Behörde, die Roisin von der katholischen Schule wirft, weil der Pfarrer den Bewilligungsschein ihres „Lebens in Sünde“ wegen verweigert.
Imitation Of Life: Mancher Konflikt sieht auch in Ae Fond Kiss eindeutiger aus, als er ist. Und am Ende soll es Eva Birthistle und Atta Yaqub einfach nicht schlechter ergehen als Jane Wyman und Rock Hudson. In den besten Momenten aber wird der Druck von außen auf das Paar gerade dadurch lebendig, weil das Außen eine eigene Geschichte bekommt. „
Autor: Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz 10/ 04
- Krisenfest – Zu Untergangsvisionen im Film und der Finanzkrise - 16. November 2013
- Filmverfügungen (Blu-ray) - 4. Dezember 2010
- Im Schatten (Thomas Arslan) - 4. Oktober 2010
Schreibe einen Kommentar