Andre Heller hat mit Othmar Schmiderer einen Dokumentarfilm gedreht, der zuviel offen lässt
In den letzten Wochen ihres Lebens hatte Traudl Junge für kurze Zeit jene Form von Popularität erfahren, die sich aus den Schlagzeilen großer Tageszeitungen speist und Namen durch Funktionen ersetzt. Sie hieß nun „Hitlers Sekretärin“; als solche wurde sie in der Boulevardpresse und in Agenturmeldungen zitiert, wie sie „ihr Schweigen bricht“ und über „die letzten Stunden des Diktators“ spricht: Hitlers Gesicht kurz vor seinem Selbstmord. Eva Brauns letztes Kleid. Knapp drei Monate nach dem Tod der 81-Jährigen in München läuft nun der Film an, der die Quelle der Zitate und den Ausgangspunkt des kurzen, aber intensiven Interesses bildet. Andre Heller hatte im Frühjahr 2001 mehrere Gespräche mit Junge geführt und das Material mit dem Filmemacher Othmar Schmiderer bearbeitet.
Aus zehn Stunden Film wurden zunächst 180 und schließlich 90 Minuten, in denen wir mit Traudl Junge (beinahe) allein sind. Nur selten ist die fragende Stimme Andre Hellers zuhören, sichtbar ist die Erzählerin selbst, ansonsten niemand da bis auf uns und unsere Erwartungen. Wovon wird sie sprechen? Natürlich davon, wie es dazu kam, dass sie 22-jährig im Herbst 1942 Hitlers Privatsekretärin wurde und es bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ blieb. Letzte Tage im Führerbunker. Sie wird von ihrem Verhältnis zu Hitler erzählen und davon, dass sie sich nicht verzeihen kann, ihn verehrt zu haben, seiner Wirkung erlegen zu sein, wenn er ihr „seinen berühmten Blick in die Augen senkte“.
Es gibt kein Bild, das davon ablenken könnte, wie persönlich diese Erinnerungen sind, kein allgemeingültiges, verbindliches Zeichen von NS-Diktatur oder dem Holocaust, das uns je die Rolle des „objektiven“ Beobachters/Historikers anbietet. Unsere Position muss hier erst noch gefunden werden, während Traudl Junge ihre eigene Haltung reflektiert. „Er war ein echter Verbrecher, ich hab’s nur nicht bemerkt.“ Er, der fast immer „der Führer“ heißt, ein erzählendes Ich, dazwischen wir.
Dieses Ich im Mittelpunkt der Erzählungen/der Kamera prüft unser eigenes Publikums-Ich und unsere Haltung zu diesen Worten. Und in dem Augenblick, in dem ich mich frage, was es für die Erzählerin eigentlich bedeutet, so offen von ihrer damaligen Faszination zu reden und von wo aus sie jetzt spricht, setzt im Film eine Selbstbeobachtung ein. Traudl Junge sieht ihre eigenen Videoaufnahmen, beobachtet also (wie ich selbst) ihrenFilm und scheint eine ähnliche, persönliche Verstörung zu erleben: „Wenn ich da nachlausche, was ich da gesagt hab, klingt das so anekdotenhaft – das war natürlich für mich unglaublich wichtig dieses Menschliche, aber heute scheue ich mich fast, das so darzustellen.“
In diesen Momenten der verdoppelt persönlichen Begegnung formulieren sich neue Fragen. Mich interessiert jetzt weniger die Wolfsschanze und der Führerbunker (wo sich Traudl Junge deshalb „im toten Winkel fühlte“, weil sie gerade durch die unmittelbare Nähe zum „Führer“ von den Konsequenzen seiner Politik so weit entfernt war), also ihre Zeit bei/mit Hitler, sondern mehr der Weg, der zwischen dieser erzählten Zeit und der heutigen Erzählerin liegt. Wie hat sich dieses Ich, das von sich so seltsam nüchtern und gleichzeitig bewegt spricht, zvvischen 1945 und 2001 entwickelt?
Traudl Junges Präsenz und ihre Sprache – ein direktes, kaum zögerliches und ichbezogenes Reden – geben natürlich einen Eindruck, wer hier spricht und welcher Art ihre Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in den vergangenen 56 Jahren gewesen sein mag. Das mehrfach in Nebensätzen wiederkehrendeThema, sich nicht verzeihen zu können, erzählt von einem anhaltenden Schmerz, der und das ist die eigentliche Überraschung des Films – darüber hinaus nicht zur Sprache kommt. Einzig in Zwischentiteln und ganz am Ende erfahren wir schriftlich, dass sie nach ihrer problemlosen Entnazifizierung („jugendliche Mitläuferin“) als Wissenschaftsjournalistin u.a. für die Illustrierte „Quick“ arbeitete, dass sie unter schweren Depressionen litt und bis zu ihremTod SPD-Mitglied blieb.
Mag sein, dass hier aus Respekt Material nicht erfragt oder nicht in den Film montiert worden ist, das den inneren Kampf der Protagonistin um ihre Erinnerung und ihr Selbstbild ins Zentrum stellt. So aber geht die Möglichkeit verloren, Traudl Junge noch deutlicher aus der Klammer „Hitlers Sekretärin“, aus ihrem eigenen „toten Winkel“ herauszuholen. Weil wir Dank der filmischen Konzentration auf die Erzählerin in jeder Sekunde spüren können, dass sie wesentlich mehr ist als ihre Zeit „beim Führer“, wirkt die Entscheidung Hellers und Schmiderers umso seltsamer, mit der Erzählung vom Ende Hitlers auch ihren Film zum Ende zu bringen.
Schließlich verflüchtigt sich damit auch die Chance, das erzählende Ich mit unserem/meinem beobachtenden Ich stärker und empfindlicher zu verknüpfen. Gerade in jenen Momenten, in denen dieses Ich der Zeugin mehr von sich als von Hitler spricht und mehr vom „Wie“ der Erinnerung als vom „Was“, wächst sowohl der Zweifel an der Gewichtung des Eilms als auch der Wunsch danach, unsere/meine Probleme der Erinnerung mit denenTraudl Junges in Beziehung zu setzen. Erinnerung als work in progress: Wenn Heller und Schmiderer noch über Aufnahmen verfügen, in denen Traudi Junge ebenso ausführlich von ihrer Ich-Geschichte nach 1945 erzählt, sollte auch daraus ein abendfüllender Film entstehen. Und dieser könnte dann aus dem „toten Winkel“ dorthin hinführen, wo Traudl Junge eben nicht mehr „Hitlers Sekretärin“ war.
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 04/ 02
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