Als Denn zum Küssen sind sie da vor gut drei Jahren in die Kinos kam, schien der Fall relativ klar. Noch ein Serienkiller-Thriller, wieder jagte den Verbrecher ein bedächtig vertrauenswürdiger Morgan Freeman, der nach Se7en nun als Polizeipsychologe Alex Cross einem Frauenmörder auf den Fersen war. Eigentlich ging da alles recht gewöhnlich zu. Nur Freemans Partnerin Ashley Judd brachte als entkommenes Beinahe-Opfer eine leichte Veränderung ins Serienkiller-Genre. Mit ihr wurde die Opferperspektive umgedreht – die „leichte Beute“ des Killers/des Genres verweigerte hier erfolgreich ihre Funktion.
Rückblickend verlagert sich nun Denn zum Küssen sind sie da vom Serienkiller- zum Alex-Cross-Film, denn mit Im Netz der Spinne ist bereits der zweite Cross-Bestseller von James Patterson verfilmt worden. Dass Im Netz der Spinne in der Chronologie der Bücher noch vor Denn zum Küssen sind sie da liegt, fällt dabei nicht weiter auf. Interessanter ist da schon, dass nach Gary Fleder (Das Leben nach dem Tod in Denver) nun mit Lee Tamahori zum zweiten Mal ein Regisseur verpflichtet wurde, der als Hoffnungsträger gehandelt wird. Nach seinem Debüt Die letzte Kriegerin hatte Tamahori u.a. Mulholland Falls und einige Episoden der großartigen TV-Serie „Die Sopranos“ gedreht.
Diesmal muss Alex Cross eine Entführung aufdecken, die sich weit komplizierter gestaltet als zunächst angenommen. Nachdem die Senatoren-Tochter Megan (Mika Boorem) gekidnappt worden ist und der Entführer (Michael Wincott) mit Cross Kontakt aufgenommen hat, beendet dieser seinen einstweiligen Ruhestand, um mit der Secret-Service-Agentin Jezzie Flannigan (Monica Potter) die Fahndung aufzunehmen. Beide tragen einen Schuldkomplex mit sich herum: Cross hat bei seinem letzten Fall den Tod seiner Partnerin nicht verhindern können, Flannigan war für die Sicherheit des entführten Mädchens verantwortlich.
Weil Im Netz der Spinne zu jenen Thrillern gehört, die eben nicht von Suspense, sondern von überraschenden Entwicklungen leben, wäre es unfair, mehr von den weiteren Ereignissen zu verraten. Unfair deshalb, weil die Wendungen das vielleicht größte Kapital des Films sind, der wie schon sein Vorgänger einen Großteil der Aufmerksamkeit der Partnerin von Morgan Freeman widmet. Auf seine Weise ist Alex Cross in beiden Filmen eine Art begleitender, unterstützender Hintergrund für eine Frauenfigur, die sich innerhalb eines Thrillers stärker und anders entfalten darf als in anderen Beispielen des Genres. Morgan Freeman ist schon wegen seiner Ruhe und zurückgenommenen Präsenz der perfekte Star für diese Rolle als helfender Dauerpartner – Aktion, Bewegung findet neben ihm und um ihn herum statt. Eine derartige Katalysator-Funktion besitzt kein anderer Serienheld des zeitgenössischen Hollywoodkinos.
Diese Zurückhaltung teilt der Film mit seinem Helden. Im Netz der Spinne ist, wenn man das so sagen kann, wenig spektakulär und – von der Besetzung bis zur Regie – alles andere als aufdringlich. Für diese vergleichsweise unauffällige Form von Kino wird gerne das Wort „routiniert“ verwendet, in welchem etwas leicht Abschätziges mitschwingt, das nach Schematismus und mangelnder Inspiration klingt. Doch Im Netz der Spinne ruht eher in sich: Auf eine kluge, aber nicht smarte Art ist dieser Film vielleicht so perfekt, wie es eine selbstgenügsame Whodunit-Geschichte eben sein kann, die keine Figur einem eilfertigen Spannungsmoment oder Genre-Ritual opfern will.
Autor: Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 7/2001
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