Edward Nortons Regiedebüt, eine romantische Komödie um einen Priester und einen Rabbi
Eines der ältesten Rituale des Kinos ist das Wieder- und Neuerzählen alter, bewährter Geschichten. Zum Beispiel „Junge trifft Mädchen“ oder „Unbescholtener Normalbürger gerät in ein Komplott“. Was daran so spannend werden kann, ist gerade die Variation des Bekannten, das längst ein Teil unserer eigenen (Kino-)Geschichte ist. Etwas Vertrautes erhält ein neues Gesicht, eine neue Form, die vielleicht schon aus Verkaufsgründen etwas mit der neuen Gegenwart zu tun hat und uns darum auch etwas von uns selbst erzählt.
Darauf scheint jedoch der erfahrene Kneipenwirt bekennend irischen Ursprungs („Kiss me, I’m Irish!“) in Glauben ist alles keinen Wert zu legen. Seine „Oh nein, bitte nicht schon wieder“-Haltung ist ein gelangweiltes Bollwerk gegen die Geschichte, die ihm der betrunkene junge Priester Brian (Edward Norton) anvertrauen will. „A priest and a rabbi, oh come on, I’ve heard this before!“ Nein, nein, hier kommt etwas völlig neues, versichert der Erzähler, was ihm widerfahren ist, habe er bestimmt noch nie gehört: „It’s a long story.“
Das ist sie dann auch, und vor allem wird die Geschichte auch genauso lang erzählt. Kurz gesagt handelt sie von zwei Schulfreunden in New York, besten Freunden, die beide in ihrer Konfession Karriere gemacht haben. Aus Jake (Ben Stiller) ist ein aufstrebender, unorthodoxer Star-Rabbiner geworden, Brian ist sein Entertainer-Äquivalent auf katholischer Seite. Sie machen ihre heiligen Häuser voll, gefeiert wie zwei Stand Up-Komiker: the „God-Squad“, religiös-spirituelle Men in Black.
Alles läuft fantastisch und lustig, selbst Brians Leben mit dem Zölibat, bis ihre alte Freundin aus Kindertagen, Anna (Jenna Elfman), wieder in ihr Leben tritt. Die ist natürlich schick, schlank, groß, blond, erfolgreich und selbstbewusst („I work harder than God“) und darum ab sofort beider Traum. Kriegen wird sie Jake, was dreifach Probleme bringt: weil Brian davon nichts wissen darf, die Geschäftsfrau Anna eigentlich mit ihrem Job verheiratet ist und sie außerdem keine Jüdin ist. Ja, ja: Wie wichtig ist (auch kirchliche) Karriere, wer kann sich wirklich auf wen einlassen, und können Brian und Jake Freunde bleiben?
Weil wir uns in einer romantischen Komödie befinden, werden diese Fragen mit der bekannten Mischung aus rasanten Gags und gefühliger Schwere gestellt. Und aus demselben Grunde kann dann auch die Antwort auf alle Fragen nur heißen: Alles wird gut. Erstaunlich und auch problematisch ist daher weniger dass, sondern vielmehr wie alles gut endet. Glauben ist alles nutzt die Freiheit innerhalb des bekannten Rahmens – I’ve heard this before – erstaunlich wenig. Hier wird nicht zwischendurch ausgeschert, keine unvorhersehbare Wendung zögert den planmäßigen Ablauf von Komik und Gefühl, Problem und Happy End hinaus; ganz so, als ob dieser Komödie zu keiner Zeit daran gelegen sei, einen eigenen Weg auf der vorgegebenen Strecke zu gehen. Hier hat alles (auch die großartigen Nebenrollen von Eli Wallach als Rabbi Lewis und Anne Bancroft als Jakes Mutter Ruth) seinen Platz – und damit eben gerade nicht einen eigenen Platz, nicht seinen, sondern den vom Genre vorgesehenen.
In gewisser Weise spektakulär wird diese unspektakuläre Geschichte erst durch den Hinweis, dass wir es ja hier mit dem Regiedebüt des Hauptdarstellers Edward Norton zu tun haben. Denn das Versprechen, das sich mit dem Namen des Schauspielers verbindet, hat mit Unkonventionalität und mit Überraschung zu tun. Eine Überraschung, die in Primal Fear und auch American History X eine Verwandlung seiner Figuren ist, in Everybody Says I Love You die liebevolle Dekonstruktion einer Fred-Astaire-Nummer und die in Fight Club und Being John Malkovich in einen Irrgarten von Subjektivität führt.
Wie erklärt sich dieses Missverhältnis zwischen den Filmen des Schauspielers Edward Norton, der einer der interessantesten jungen Stars Hollywoods ist, und seiner ersten Regie-Arbeit? Oder anders gefragt: wie gehen wir damit um? Vielleicht am besten mit der Einsicht, dass die Personalisierung von Filmen generell und die Identifikation von Filmen mit ihrem Regisseur im Besonderen nichts anderes als ein gut funktionierender Mythos ist – und dass vor allem Hollywood-Filme komplexe, hybride Produkte von Menschen, Kulturen und Industrien sind. Fight Club etwa ist eben mindestens ein David-Fincher-, ein Helena-Bonham-Carter-, ein Edward Norton- und ein Brad Pitt- Film. Glauben ist alles ist in vielen Momenten auch ein typischer Ben-Stiller-Film mit Szenen, die an Verrückt nach Mary und Flirting with Desaster erinnern. An anderer Stelle begegnen uns hier immer wieder Ähnlichkeiten zu anderen New-York-Komödien wie Der Stadtneurotiker, Manhattan oder auch Everybody Says I Love You. Im Gegensatz jedoch zu Everybody Says I Love You, der die eigenen Grenzen sprengt und dabei zugleich feiert, will Glauben ist alles allein in seinen Grenzen funktionieren. Als Genrefilm, als schematische romantische Komödie bleibt er damit auch genau das, was der irische Kneipier bereits ganz zu Anfang geahnt hatte: I’ve heard this before.“
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 06/ 01
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