Wer keinen Glauben hat
Das Grauen haust nicht in der Fremde, sondern in dir: In Bill Paxtons Film „Dämonisch“ geht das Familienleben seinen normalen Gang – obwohl der Vater Menschen mordet
Der junge Mann mit dem eindringlichen Blick hat völlig zu Recht im Büro des ermittelnden FBI-Agenten Platz genommen. So braucht der vorsichtige Agent Doyle (Powers Boothe) seinen Schreibtisch nicht zu verlassen, um an Hinweise zur Identität des Gods-Hand-Killers zu kommen; sein düsterer Fall kommt zu ihm. Er sucht ihn heim. Wir wissen, dass es nicht anders sein kann.
Es ist viel geschehen, seit noch Wege in die Karpaten, in Burglaboratorien oder an den Amazonas nötig waren, um das geheimnisvolle Grauen aufzuspüren. Der Horror und das Bedrohliche hausen längst nicht mehr als bedauerliche Homunkuli oder Kiemenmenschen in irgendeiner Fremde, sondern sind mitten unter uns. Wer in den letzten Jahren nicht komplett dem Kino und Fernsehen entsagt hat, wird zwischen Akte X, Millennium, Matrix, The Faculty, The Others, The Sixth Sense und Signs diesen sechsten Sinn entwickelt haben, der uns auf mysteriöse Bedrohungen unmittelbar neben oder gar in uns vorbereitet. Its just another part of me – dorthin führt uns auch Bill Paxtons Regiedebüt Dämonisch.
Die Geschichte, die Doyles nächtlicher Besucher namens Fenton Meiks (Matthew McConaughey) erzählt, beginnt im Sommer 1979 in Thurman, Texas. In einer angeschlagenen Familienidylle leben dort Fenton (Matthew OLeary) und sein jüngerer Bruder Adam (Jeremy Sumpter) unter der Obhut ihres liebenden Vaters (Bill Paxton). Woran die Mutter gestorben ist, werden wir bis zum Ende nicht erfahren; ebenso wenig den Namen des tief religiösen Vaters. Wie sollte es auch anders sein? Bill Paxton heißt Dad, weil ihn seine Kinder so nennen, und da alle drei die Todesursache der Mutter kennen, ist auch dies kein Thema. Dieser Familiengeschichte bietet sich uns nicht an, sondern zieht uns mit Ruhe in ihren Alltag hinein.
So erscheint die Nacht, in der Dad den Kindern seine Vision offenbart, wie ein böser und darin realer Traum, nach dem am nächsten Morgen das Familien- und Schulleben unverändert seinen Gang geht. Erst als der Vater seine Söhne vor dem Schultor kurz daran erinnert, niemandem von ihrem neuen Geheimnis zu erzählen, wissen wir und Fenton, dass dieser Traum wahr werden wird. Die Familie ist von Gott auserwählt, als „Gods Hands“ Dämonen in ihrer unauffälligen Menschengestalt zu erkennen und zu vernichten.
Zu Fentons und unserem Schrecken wird sich am Tonfall innerhalb der Familie und der liebenden Strenge des Vaters nichts ändern. Auch dann nicht, als Dad die ersten „Dämonen“ vor den Augen der Kinder mit der Axt erschlägt. Anstelle eines Wandels der Inszenierung hin zu schnelleren Schnitten oder lauteren Tönen verschiebt sich nur die Normalität eines Familienlebens, in dem sich nun die Söhne beim Vergraben einer Leiche darüber streiten, ob Dad ein Killer oder tatsächlich erleuchtet sei. Weil Bill Paxtons Regie zudem die Visionen des Vaters ins Bild setzt und damit eine verlässliche, eindeutige Perspektive innerhalb der Erzählung aufgibt, ist dessen sorgenvolle Ermahnung an Fenton letztlich auch an uns gerichtet. „Du hast keinen Glauben, deshalb kannst du die Wahrheit noch nicht sehen, aber das werden wir ändern.“
Wer ist wir? Diese Frage wird sich bis zum Ende von Dämonisch ebenso wenig eindeutig geklärt haben wie „die Wahrheit“, nach der Agent Doyle sucht. Immer wieder wird Fentons Geschichte vom Sommer 1979 unterbrochen durch das nächtliche Jetzt zwischen ihm und Doyle. Und in gewisser Weise entspricht das Verhältnis zwischen diesen beiden Handlungssträngen jener Kluft, die zwischen dem Originaltitel, Frailty („Schwäche“), und der deutschen Fassung liegt.
Während die Kraft der Familientragödie in einer schleichenden Verirrung hin zu einer Brutalität liegt, bei der es kein „Außen“ mehr gibt, behauptet die Klammer zwischen Matthew McConaughey und Powers Boothe immer schon das dicke Ende, das dämonisch tatsächlich kommen muss. Die Vieldeutigkeit des Originaltitels breitet sich aus zwischen uns, den hervorragend spielenden Kindern und ihrem Dad. „Schwäche“ meint hier nicht zuletzt unseren eigenen Verlust der Trennschärfe zwischen Glauben und Wissen, zwischen Wahrheit und Verblendung. Das Dräuen des Genres jedoch, gedoppelt im ebenso generischen Spiel von Boothe und McConaughey, zerrt diese Wirkung auf die ausgelatschten Pfade des Serienkillerfilms zurück, die sie eigentlich schon verlassen hatte.
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der: tageszeitung 11/ 02
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