Die Rettung des amerikanischen Horrorfilms und dessen Weg ins neue Jahrtausend gelangen mit einem interessanten Schachzug: sich ausgerechnet von jenem Erfolgsrezept zu verabschieden, das dem Genre in den 1990er-Jahren neuen Glanz geschenkt hatte.
Schluss mit lustig: Der Erfolg des Blair Witch Project ebnete im Jahr 1999 eine Zukunft ohne Scream-Selbstironie – das selbstreflexive Spiel mit den Querverweisen und Referenzen suchte neue Bezüge und findet sie bis heute in japanischen Vorbildern und strengen US-Independents wie Tobe Hooper und George Romero. Wie sich auf dieser Basis eine dezidiert britische Variante entwickeln kann, hat 2003 Danny Boyles Zombiefilm 28 Days Later gezeigt, der nächste Schritt auf diesem Weg führt wie eine folgerichtige Vertiefung und Verengung in die Londoner U-Bahn.
In Christopher Smith‘ Regie- und Drehbuchdebüt Creep wartet Franka Potente als Modelagentin Kate auf den letzten Zug und schläft ein. Ein einziger Schnitt überführt Alltag in Genre. Kate erwacht aus dem Sekundenschlaf und wird die Nacht zwischen Gleisen, Bahnsteig, Neonlicht und dunklen Gängen verbringen. In diesem harten Übergang manifestiert sich der Rhythmus dieses Films, eine Verdichtung von Zeit und Raum, bei der Geräusche und Musik eins werden, um zum Wesentlichen zu kommen.
In den Gängen der Tube treibt irgendein Monster sein Unwesen, das jedoch nur bis zur Hälfte der 88 Minuten „irgendeines“ bleibt. Bis dahin sehen wir allein die blutigen Spuren seiner Taten. Wie im Blair Witch Project starren wir mit Franka Potente ins totale Dunkel, dann aber dreht sich Creep und macht mit seinem Going Underground als Punk-Reminiszenz Ernst: Das Monster kommt ins Bild, ein verwachsener Mann in kurzen, zerfledderten Hosen, ein vernarbter Körper, ein schiefes Gesicht mit Hasenscharte.
„Some people might say my life is in a rut. But I’m quite happy with what I got!“ Wie zum aggressiven Protest gegen den zuvor so wirksam imaginierten Schrecken besetzt das Monster entschlossen diesen Film. Es bleibt so sichtbar wie die Hautunreinheiten im Gesicht Franka Potentes und führt das Prinzip der Nähe und Reduktion in Creep gleichsam zu Ende: Das Böse existiert, und so wie hier vorgeführt sieht es aus.
Auch die Verweise auf andere Filme – von Death Line, dem britischen U-Bahn-Horror von 1972, und Mimic bis zu The Deer Hunter – drosseln nicht das Tempo, mit dem hier alles auf den Endkampf zwischen Kate und „ihm“ hinausläuft. Allein der psychoanalytische Überbau, der zum Ende hin mit Macht um die Geschichte des Bösen aufgetürmt wird, will plötzlich in eine andere Richtung. Aber für solche Späße ist hier weder Platz noch Zeit. „
Autor: Jan Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der: taz 02/ 05
- Krisenfest – Zu Untergangsvisionen im Film und der Finanzkrise - 16. November 2013
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