Zeitlupe, natürlich Zeitlupe, als Andreas Baader (Frank Giering) aus der Garage den Polizistenpistolen entgegentritt. Jetzt müsste die Verhaftung kommen. Daraus wird aber nichts, weil Baader, eher linkisch als elegant, zwei automatische Pistolen hinter dem Rücken hervorholt (wieder Zeitlupe) und beidhändig in die Gegend ballert. Ein kurzer Moment der Stille, dann zersieben die Kugeln der Polizisten Baaders Körper, der tödlich getroffen zu Boden sinkt. Jetzt läuft BKA-Chef Kurt Krone (Vadim Glowna) auf ihn zu (auch Zeitlupe), blickt sorgenvoll in sein Gesicht (Sonnenbrille sitzt noch), weint beinahe, bevor er wie um Gnade oder Erklärung bittend gen Himmel schaut und den Kopf des Toten langsam, fast liebevoll aufs Pflaster legt.
Damit endet Christopher Roths Film über Andreas Baader, der in Wirklichkeit in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 als führendes RAF-Mitglied zusammen mit Jan Carl Raspe und Gudrun Ensslin im Untersuchungsgefängnis Stuttgart-Stammheim ums Leben kam. Irmgard Möller, die als einzige der vier RAF-Gefangenen diese Nacht überlebt hat, bestreitet bis heute die offizielle Version vom kollektiven Selbstmord. In Baader, das ist eigentlich schon nach wenigen Minuten klar, hat der Widerstreit von offizieller Geschichtsschreibung und RAF-Positionen keinen Platz. „Ein Dokudrama oder Dokumentarfilm ist es auf keinen Fall. Der Film fiktionalisiert bewusst und endet ja auch mit einer relativ dreisten Lüge, um zu sagen: Das ist Fiktion“, erklärt Roth dazu. Co-Drehbuchautor Moritz von Uslar ergänzt: „Immer, wenn gestorben und gemordet wird, entsteht ein Mythos. Wenn man eine eigene Wirklichkeit schaffen will, muss man sich neben diesen Mythos stellen. Um an die Emotionalität der Figuren heranzukommen, braucht man eine eigene Story.“ Und noch einmal Roth: „Das Ganze ist wie die Fußballnationalmannschaft ein Thema, zu dem alle was zu sagen haben. Jeder weiß es besser.“
Vielleicht haben Roth und von Uslar Recht, und so sollte eine Kritik an Baader tatsächlich nur diese „eigene Story“ in den Blick nehmen und dem Film, der sich weder für Geschichte noch für Halbwahrheiten interessiert, nicht den sensationslüsternen Umgang mit Geschichte und Halbwahrheiten vorhalten.
Wofür Baader sich offenkundig interessiert oder worauf er zumindest eine Menge Zeit verschwendet, sind Bilder, die Assoziationen wie „cool“, „Radical Chic“ und „Pop“ herbei beten. Grobkörnige Nahaufnahmen, Baaders Gesicht im Halbschatten, Kippe im Mundwinkel, Zeitlupe, Formatwechsel zu Super 8, Zeitsprünge in der Erzählung, Collagen mit Dokumentaraufnahmen (gerne Vietnamkrieg) inklusive nachgedrehter „Tagesschau“ zu Songs von Can oder Trans Am. Damit wird eine Geschichte von Andreas Baader zwischen 1967 und 1972 entworfen. Schwerpunkte: Autodiebstahl, Knast, Drogen und natürlich das, was hier unter dem Label Widerstand und RAF laufen könnte. Baaders selbstherrliche Inszenierung als tougher Gangsterboss („Wer wimmert kann gehen, Marx kann meinetwegen auch abhauen!“), seine Beziehung zu Gudrun Ensslin (Laura Tonke) und zu Ulrike Meinhof (Birge Schade), die, fast zur Statistin verdammt, von Baaders Outlaw-Charisma in den Untergrund gezogen wird. Überhaupt soll jede Menge Faszination ausgehen von diesem leicht untersetzten Mann, der Frauen bei jeder Gelegenheit als Fotzen beschimpft und von ihnen dennoch oder gerade deswegen abgöttisch geliebt und bewundert wird. „Du bist der Baader, stimmt‘s?“ – „Ich bin der Baader!“ – „Wow!“
„Wow“ stimmt aber nicht. Denn selbst wenn man sich nicht für das Geschlechterbild dieses Films interessiert, das für Ulrike Meinhof vornehmlich Schweigen und für Gudrun Ensslin „oben ohne“ vorsieht, während Baader und der an Horst Herold angelehnte BKA-Chef Krone ein ebenso klassisches Vater/Sohn-Verhältnis abfeiern, scheitert Baader an den eigenen Vorgaben. Gerade weil sein Film, wie Christopher Roth sagt, auf „Baaders Wirkung und Faszination“ zielt und anscheinend deshalb auch auf „schnelle Autos, Waffen, Mann der Tat“, wiegt es doppelt schwer, dass sowohl die Inszenierung als auch Frank Giering nichts von dem seltsamen Versprechen halten können.
Mag sein, dass sich Sätze wie „Was’n hier los, Fotzenaufstand oder was?!“ nicht so leicht glaubhaft aufsagen lassen. Frank Giering jedenfalls hat damit arge Schwierigkeiten, was neben seinem wenig selbstsicheren Auftreten nicht zur Glaubwürdigkeit jenes wundersamen Zaubers beiträgt, dank dem alle Frauen sich stante pede in das zottelige Sonnenbrillenmännchen verlieben und ihm „Du bist toll!“ zuhauchen. Da hilft es auch nicht, wenn in der nächsten Szene irgendeine Mülltonne – wuff – in die Luft mehr stolpert als fliegt und ein mühsam brennendes Auto so etwas wie Action vermitteln soll. „Schnell“ ist hier gar nichts, weder Autos oder Gedanken noch Rhythmus der Erzählung, auch wenn assoziative Schnitte sich bisweilen daran versuchen und die Meldung von der Erschießung Benno Ohnesorgs durch einen akustischen Schuss beendet wird.
Baader, um mit dem Film zu sprechen, legt sich selbst aufs Kreuz, und so ist es auch kein Zufall, dass die Hilflosigkeit von Regie, Drehbuch und Star ausgerechnet bei der von Moritz von Uslar betonten „Emotionalität der Figuren“ am schönsten aufeinander trifft: Auf einem verlassenen Industriegelände – kalte Atmosphäre im deutschen Dezember – gesteht Karin Rubner (Jana Pallaske) Baader ihre Liebe. „Ich mag dich doch so gerne!“, sagt sie. Baader ist natürlich überfordert. „Was ist denn das für ’ne Sülze? Willst Du vielleicht auch noch was zu Weihnachten haben von mir?“ Schreit es, dreht sich um und ballert mit einer Maschinenpistole in die Luft.
Autor: Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 10/2002
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