Ein flotter Dreier
Ist Tom Tykwers Film “Drei” wirklich so emanzipatorisch?
„Der schönste Film des Jahres.“ „Erfrischend“. „Hinreißend“. Wer in diesen Tagen Tom Tykwers Film „Drei” anschaut, wird die Charakterisierungen, die zum Jahresende so oder anders viele Feuilletons durchzog, nicht ganz falsch finden. Die Zuschauer verlassen das Kino sichtlich beschwingt. Die gezielten Schnitte, die Anlage als Laborversuch und natürlich die glanzvolle Sophie Rois in der Rolle der Kulturjournalistin Hanna heben den Film von dem betulichen Durchschnitt ab, der uns seit Jahren als “neuer deutscher Film” untergejubelt wird: sei es nun die wortkarge “Berliner Schule” oder Florian von Donnersmarcks großspurige Geschichtsfälschungen. Tykwers schon vor gut zehn Jahren in “Lola rennt” erprobte Mischung aus avancierter Ästhetik und populärem Plot verbinden sich mit dem scheinbar emanzipativen Gehalt, so der erste Eindruck, zu einem rundum positiven Kinoerlebnis. Selbst Pärchen, die das Lichtspieltheater Hand in Hand betreten, wirken danach wie gelöst. Ist das nicht wunderbar?
Ja. Schön. Der Film ist auf jeden Fall besser als die öde Mittelschichtenlarmoyanz, mit der uns Doris Dörrie seit Jahr und Tag nervt. Besser natürlich auch als der Hetero-Mainstream à la „Meine Frau, unsere Kinder und Ich“, mit dem Hollywood tatsächlich immer noch glaubt, punkten zu können. „Drei“ nimmt dem Thema Seitensprung und Seitenwechsel jeden moralischen Druck: den Zwang zum Lügen und das schlechte Gewissen. Zwar propagiert der Film kein WG-Modell oder lässt die diversen Kommunen Langhans’scher Prägung wieder aufleben. Aber hier wird eben doch mehr als die heilige Kleinfamilie mit Kinderwagen im Öko-Supermarkt zelebriert. Ganz ohne Herz, Schmerz und großes Drama. Nicht unbedingt mit der naturwissenschaftlichen Kühle, die das Stammzellen-Ambiente erwarten ließe. Aber doch mit der Lust am “ausprobieren”. Tykwer verwandelt den Normbruch hier zu einer Entscheidung von der Tragweite des Naschens: Und Erwachsene ebenso!
Aber ist der Film wirklich so emanzipativ, wie es jetzt überall begeistert kolportiert wird? Ist das (doch eher behutsam) erweiterte Beziehungsspektrum, das uns da vorgeführt wird, nicht längst der Alltag des bürgerlichen Beziehungslebens? Ja, – unter der deklaratorischen Oberfläche – immer gewesen? Ein Wort wie „Partnertausch“, das die nivellierte Mittelstands-Gesellschaft der siebziger Jahre noch wie revolutionäre Schockwellen durchlief, belächelt man heute nachsichtig wie die orangefarbenen Schalensessel der nämlichen Zeit – abgestandenes Emo-Interieur der Nachkriegs-Moderne. Und wirkt die Aufforderung zum flotten Dreier, die der Film transportiert, nicht nachgerade rührend im Zeitalter der Swinger-Clubs, Naked-Sex-Parties und Darkrooms – den Institutionen, die heute zum urbanen Standardrepertoire gehören wie der Zeitschriftenkiosk und der Nachtkauf? Im Berliner Kit-Kat-Club, dem Zentrum der bekennenden Massenorgiastiker, dürften die Zuschauer sicher herzlich gelacht haben über Tykwers waghalsige Botschaft.
Emanzipativ ist der Film vielleicht indirekt: Insofern, als er bewusst macht, wie weit die Verbürgerlichung schon vorangeschritten ist. Wenn ein so harmloses, nicht ganz taufrisches Beziehungsmodell plötzlich als gewagte Alternative zu den real existierenden Sexual- und Geschlechterverhältnissen empfunden wird. Stichwort: Prenzlauer Berg. Das seinen zeitgemäßen Ausdruck in dem Paar gefunden zu haben scheint, das Aristokratie und Demokratie, Sex-Appeal und Treue, Glamour und Tradition klassenübergreifend so charismatisch kurzschließt, das einem manchmal schwindelig wird: Stephanie und Karl-Theodor, Freileute zu Guttenberg.
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Willkommen in der sexuell beweglichen Bourgeoisie.
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Andererseits: Ist es nicht vielleicht einfach so, dass das Bürgertum sich mit “Drei” einfach nur eine neue psychosoziale Basis zulegt? Und damit – wieder einmal – sein Terrain erweitert? Von emotionaler Basis kann man nur schwer sprechen, so wenig erlaubt es Tykwer seinen Figuren, einen entsprechenden Gefühlshaushalt auszubilden. Und nichts anderes als Proto-Bürger repräsentieren Simon und Hanna. Mögen die beiden auch irgendwie aus dem alternativen Untergrund hervorgekrochen sein. Mögen sie sich auch habituell noch am Prekariat orientieren. Immerhin haben sie gerade geheiratet.
Nichts anderes repräsentiert auch der anzüglich-distanzierte Adam Born alias Devid Striesow in Tykwers „Drei“. Nimmt man dieser Mischung aus István Szabós karrieregetriebenem “Oberst Redl” alias Klaus Maria Brandauer (immerhin schon aus dem Jahr 1984) und dem feinsinnigen Playboy Maximilian von Heune alias Helmut Griem aus Bob Fosses “Cabaret” (aus dem noch ferneren Jahr 1972) auch noch am ehesten den flexiblen Outsider ab. So, wie der Bisexuelle da als blonder Baron mit Schutzbrille auf dem Motorrad durchs wilde Berlin knattert. Auch, wenn er die festgefahrene Geometrie der Liebe nicht ganz so konsequent auseinander nimmt wie einst der schöne mysteriöse, namenlose Gast, der in Pier Paolo Pasolinis Film „Teorema“ (aus dem Jahr des Urknalls 1968) die spießbürgerliche Idylle einer Industriellenfamilie (nicht nur sexuell) implodieren lässt. Doch sie alle haben sich auf den Weg ins Bürgertum gemacht. Und werden ihn auch dann fortsetzen, wenn der Beischlaf zu dritt vollzogen ist, mit dessen Auftakt der Film schließlich endet. Ein seelisches Chaos, wie in Pasolinis symbolisch aufgeladenem Klassiker, zeichnet sich in dieser ménage-à-trois nicht ab. Und ob ihr „Dreier“ ein Modell für alle abgibt, wagen wir zu bezweifeln. Da haben es die Steuerbürogehilfin Anna und der Hilfsarbeiter Domenico in Silvio Soldinis zeitgleich ins Kino gekommenem Film „Was will ich mehr“ schon deutlich schwerer. Dabei wollen sie „nur“ ihre ausgelutschte Zweierkiste gegen eine aufregende austauschen.
Jedenfalls: Die Botschaft, dass sich alles verändern kann, auch die eingerostetste (Liebes)-Utopie (der Siebziger Jahre), ist unübersehbar in diesem Film. Die Metapher der schmerzlosen Öffnung geschlossener Kreisläufe tut ihre piktoriale und emotionale Wirkung. Und vielleicht erklärt das – rechtzeitig zum Jahresbeginn – auch unsere gute Laune beim Verlassen des Kinosaals. Aber gerade die Grenzüberschreitung, zu der sich die Protagonisten von “Drei” hinreißen lassen, stabilisiert zugleich das Fundament der sozialen Klasse, der sie entstammen. Polygamie ist machbar, liebe Nachbarn. Willkommen in der sexuell beweglichen Bourgeoisie.
Text: Ingo Arend
Text erschienen: Ästhetik und Demokratie – Das Ingo Arend Blog
Bild: (Quelle/Copyright: Foto: X-Verleih)
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