Lenas List
Zwanzig Jahre zu spät: „Rosenstraße“
Der Mann öffnet der Frau das Kleid am Rücken, sie nestelt am Verschluss der Ärmel, Tränen in den Augen. Der Mann ist ihr Bruder. Er bereitet, so wie das Opfer für den Stein bereitet wird, seine Schwester für das Bett eines Mächtigen vor, in das sie sich legen wird, um ihren Mann zu retten. Das ist eine bewegende Szene, aber sie stimmt nicht. Andere Szenen mögen stimmen, aber sie bewegen nicht.
Es ist schwer, sich über diesen Film zu äußern. Nicht so sehr, weil Katja Riemann (Lena) den Darstellerpreis in Venedig erhielt, sondern weil sich in dieser Arbeit unter pappigen Peinlichkeiten und uninspirierten Massenszenen eine Ernsthaftigkeit verbirgt, die, beinahe gegen die Kunst, nicht ohne jeden Eindruck bleibt.
Margarethe von Trotta erzählt die, im Kern authentische, Geschichte der arischen Frauen, die 1943 in Berlin die Freilassung ihrer Männer erzwangen oder doch nicht? Denn Forschungen ergaben, dass diese Juden ohnehin nicht zur Deportation vorgesehen waren. So gesehen ist Trottas These, dass Zivilcourage selbst in dieser Diktatur Beträchtliches bewegen konnte, wohl doch eine Okkupation des Stoffes.
Trotta arbeitet mit einer Rückblendenstruktur, die durch die Konzentration auf verschiedene Figuren, viel erzählerische Energie absorbiert. Und vor allem die leeren Bilder, in denen die junge Jüdin sich von der alten Lena (Ihr Anruf hat einen Strom von Erinnerungen ausgelöst) die Geschichte erzählen lässt, verschleißen in ihrer ästhetischen und dramatischen Belanglosigkeit so wie die inszenatorische Biederkeit der gefangenen Juden und ihrer Bewacher. Und dennoch, irgendwo ist da ein Kern, dessen Wärme gelegentlich durch die Oberfläche dringt. Vielleicht, dass dieser Film mit dieser Ästhetik zwanzig Jahre zu spät kommt.
Rosenstraße hat nicht annährend die Dimension von Schindlers Liste, doch wie dieser hat er einer mutigen Tat Dauer verliehen. Auch das ist eine moralische Tat.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2003
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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