Wenn der Hammer hallt
Joseph Fiennes glüht als Luther – doch er denkt nicht. Die Schläge des Hammers, mit dem der Mann Papier an die Kirchentür nagelt, hallen gewaltig. Es sind Schläge, die hallen durch die Zeit. Deshalb ist morgen ein Feiertag, deshalb startet heute Luther, der davon erzählen will.
Doch er weiss nichts über Luther.
Es gibt, abgesehen von dem vorösterlichen Jesus und dem Apostel Paulus, wohl kaum einen Menschen, der Geschichte so fundamental, so ins Innerste greifend beeinflusst hat wie Martin Luther (1483 bis 1546). Ohne diesen Mann, dessen Welt-Weg in der Thüringer Landeshauptstadt begann, wäre die Welt eine andere.
Und so wie Jesus kaum an die Stiftung einer neuen Religion gedacht haben kann, nur an die Vollendung des Bestehenden „Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“., so konnte auch Martin Luther nicht wissen, was er tat, als er gegen den Ablasshandel zu Felde zog.
Ein Mann, der keinerlei Kenntnisse von dem hatte, was wir heute Gesellschaftswissenschaft zu nennen pflegen. Martin Luther nahm seinen Jesus Christus ernst und das, was Paulus, der erste Theologe, über den Glauben sagte. Und weil er begabt war mit Mut, Glauben und Polemik hat er die Kirche aus der babylonischen Gefangenschaft geführt, hat er die Welt verändert. Nicht als ein Gewinner von Schlachten, nicht als ein Erfinder von Apparaten. Einfach als jemand, der Papier beschrieb.
Doch wie erzählt man das auf der Bühne, im Kino? Wie enstehen bewegende Bilder von einem Mann, der sitzt und schreibt? Es ist, als stünde Martin Luther mit seiner Biografie auch am Beginn der, im Vergleich zur katholischen Sinnlichkeit, protestantischen Bilderarmut. Es bleibt, in der Darstellung singulärer menschlicher Geisttaten Beethoven Einstein , immer ein Äußerliches, eine Banalität und es bleibt immer ein Rest, das Eigentliche. Große Kunst vermag dieses Eigentliche, das Geheimnis ahnbar zu machen. Eric Tills Luther aber ist keine große Kunst. Es ist nur der Auftragsfilm eines mittelklassigen Handwerkers. Und, finanziert von einem lutherischen amerikanischen Finanzdienstleister, erweckt Luther auch den Eindruck, als wolle man der visuellen Dominanz der Römer ein Gegengewicht schaffen. Das misslingt und es muss misslingen. Denn die Bilder dieses Filmes kommen aus dem Geist des Marketing, die katholischen Bildinszenierungen aus dem der Religion.
Gewiss, man wird von einem für ein internationales Massenpublikum konzipierten Film keine Fachdiskussion über den Römerbrief und die Rechtfertigungstheologie erwarten dürfen. Doch Luther ist für das Verständnis von Luther etwa so hilfreich wie Walter Wangerins kläglicher Versuch, Die Bibel als Roman zu erzählen für das der Bibel: Die äußeren Abläufe stimmen alle, doch sonst stimmt nichts. Es fehlt das Eigentliche, der Grund des Ganzen.
Der Kanadier Eric Till, bereits mit Bonhoeffer Die letzte Stufe sein ästhetisches Mittelmaß an einer historischen, auch protestantischen, Figur abarbeitend, fügt all die klassischen Orte und Momente in seinen Bilderbogen. Erfurt, der Blitz bei Stotternheim, Rom, Wittenberg, Worms, die Wartburg, Katharina von Bora und Johann Tetzel. Und er hat in Joseph Fiennes (Shakespeare in Love) einen Star, der Film und Figur Sympathie erwerben soll. Der ist ein leidenschaftlicher Wahrheitssucher, intensiv in seiner Besessenheit, fiebernd vor Wahrheitsglut. Nur, dass Luther, einmal das sanftlebende Fleisch zu Wittenberg genannt, ein Mann mit bäuerischen Zügen war, dessen Biederkeit einen Kontrast zu seiner Beispiellosigkeit bildete, das kommt nicht vor. Fiennes vibriert, er glüht aber er denkt nicht. Einmal begräbt Luther einen Selbstmörder und erzählt etwas von Gnade und Gerechtigkeit. Dass hier das mächtige „sola gratia“, nur die Gnade Gottes, die Substanz der lutherischen Theologie, in Rede steht, das ertrinkt in bunten Bildern. Und dass es überhaupt einer ungeheuren Energie bedurfte, sich gegen diese Kirche zu stellen, mag nicht recht glauben, wer Uwe Ochsenknecht als päpstliche Parodie erlebt. Nichts als Oberfläche, nichts als Luther-Folklore.
Mit einer Ausnahme, und das, bezeichnend, ist die beste, die einzige Szene.
Eine Begegnung des Reformators mit dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen hat es nie gegeben, doch Peter Ustinow schlägt aus dieser unhistorischen Szene eine filigrane Ironie. Als Einziger lässt er seine Figur eine Handbreit über dem Boden schweben, er spielt nicht die Figur, er spielt mit ihr und gewinnt so eine anregende Doppelbödigkeit.
Morgen ist Feiertag in Luthers Land, doch Luther hat damit nichts zu tun.
Und damit dass an jenem Ort, an dem der Reformator das Deutsche reformierte, auch deutlich wird, startet ausgerechnet dieser Film ausgerechnet in Eisenach nicht. Da könnte, im Ernst, Luthers Kirche probieren, ob sie noch einen kräftigen Spruch zu prägen weiss.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2003
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
Bildquelle: NFP / UIP
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