Der Zauberberg
Heute ist es soweit: „Die Rückkehr des Königs“ – nach Gondor und ins Kino
Nein, sagt Aragorn, ihr braucht euch vor niemandem zu verneigen. Und dann
kniet der König von Gondor nieder und alle, alle folgen ihm. Wie es
geschehen wird ab heute auch jenseits von Mittelerde. Denn Millionen werden
knien vor Frodo und Sam, vor Pippin und Merry. Und bedauern, dass es zu
Ende ist.
Sieben Jahre war Hans Castorp auf dem Zauberberg, der er als ein anderer
verlässt, ehe ihn der Leser aus den Augen verliert, im Pulverdampf eines
ungewissen Schicksals. Auch Peter Jackson, anders als die Schöpfung Thomas
Manns ein wirklicher Mensch, benötigte sieben Jahre für die Besteigung
seines Zauberberges, auch er ist nun ein anderer. Und auch er geht in
ungewisse Zukunft. Denn nun ist der neusseländische Regisseur auf dem
Gipfel, doch die Höhe dieses Berges ein weiteres mal zu erreichen sein
nächstes Projekt ist King Kong, das wird schwer.
Denn Der Herr der Ringe ist selbst ein Zauberberg, neben dem die
Fantasy-Literatur keinen gleichrangigen Gipfel kennt. Für dessen Wert ist es
gleichgültig, ob man das Werk, wogegen der Autor sich stets verwahrte, nun
als Parabel auf den 2. Weltkrieg liest während dieser Zeit wurde es
geschrieben , oder lediglich als das Bedürfnis eines Linguisten versteht,
den von ihm erfundenen Sprachen auch Länder und Völker zu gewinnen.
Entscheidend ist das Gefühl, dass diese Welt dunkler Mythen einen etwas
bedeutenden Hintergrund haben könnte, das verleiht ihr eine Kraft von innen
her. J.R.R Tolkiens (1892/1973) Entwurf einer komplexen, in sich
geschlossenen und dabei unglaublich differenzierten Gegenwelt mag irgendwann
einmal übertroffen werden, doch Mittelerde wird immer das Muster bleiben,
das ist der Ruhm der Pioniere. Denn kaum jemand hat sich so als Schöpfer
einer eigengesetztlichen Welt, als Stifter von fiktiv existierender
Geschichte verewigt wie Tolkien, was vermutlich in seinem Herkommen aus der
Wissenschaft gründet. Es muss ein glückhaftes Empfinden sein, als
Wissenschaftler die Bewegungsgesetze der Welt nicht zu suchen, sondern zu
setzen, zweckfrei und nur ihrer inneren Logik folgend. Und, wie die
bisherige Geschichte nach Tolkien gezeigt hat, werden auch die besseren
Werke der Fantasy, verdient oder nicht, der Trivialliteratur zugeschlagen.
Es scheint so, als habe Tolkien nun das Genre für alle Zeiten in der
Literaturgeschichte zu vertreten. Und Peter Jackson hat mit seiner Arbeit
einen Beitrag dazu geleistet, denn seine drei Filme haben in der Summe eine
Kraft, die die des Originals immerhin noch ahnen lässt. Denn anders als
Harry Potter wären diese Filme auch als Originalstoffe, ohne die Austrahlung
der Literatur, eine weltweite Sensation des Kinos.
Vor den Mauern von Minas Tirith, sagt König Theoden, soll sich nun also das
Schicksal unseres Zeitalters entscheiden. Das gilt auch für den König
selbst, Kenner wissen um sein Schicksal, und es gilt vor allem für den Film.
Denn auch Die Rückkehr des Königs ist ein Augenfest, dessen Kraft aus seiner
visuellen Suggestion erwächst, nicht zuletzt auch seiner Architektur. Diese
Schlacht um die glänzend gebaute Stadt ist in der Tat überwältigend. Die
Crew, so heißt es, mit den Statisten verbrauchte zum Frühstück am Set 1440
Eier, da sind nicht gerechnet die in dieser Hinsicht, aber nur in dieser,
anspruchsloseren digital erzeugten Kämpfer. Die Tableaus, die die Kamera
entwirft, sind wirklich beeindruckend, aus der Höhe fotografiert entsteht so
eine Geometrie des Krieges. Allerlei Getier, die Legolas, dem Elben, einen
Stunt am lebenden Objekt ermöglichen und Gimli, den zwergigen Freund,
neidisch werden lassen. Weite und Tiefe schier endlos und zwischen die
Kämpfe der Namenlosen die Großaufnahmen der Helden geschnitten.
Gollum ist noch immer ein Wunder, vielleicht das bislang größte des
digitalen Kinos, das mehr Raum verdient hätte . Aufgezeichnet nach dem
Bewegungsmuster eines Schauspielers, ist dies die interessantestes Figur,
nicht nur als Technik. Eine Haut wie gewässerter Marmor, der altern, doch
nicht verwittern kann, hilfloser Fötus und böser alter Mann in einem. Das
Gesicht, wenn er Frodo säuselnd zum Tode lockt, ist so beredt, so
ausdrucksstark, wie das keines anderen Darstellers. Ein ferner, trauriger
Verwandter des E.T., der schließlich doch nach Hause kommt, dort, wo der
Zauberberg am höchsten ist.
Dort haben Frodo und Sam einige Szenen, die belegen, dass Elijah Wood und
Sean Astin richtige Schauspieler sind und just dort zeigt sich eine
mögliche Schwächung der Geschichte. Denn in diesen Szenen, die gleichsam zu
wirklich sind, zu gewohnt aus anderen Zusammenhängen, da verliert der
Ringträger seine spirituelle Kraft, die ihn zum Auserwählten bestimmt, da
ist er einfach der Schwächere der beiden, dem neben der körperlichen auch
und vor allem die geistige Energie fehlt. Denn die Vorgänge leben davon,
dass sie immer ein wenig mehr bedeuten, als sie sind. Sobald die Saga auf
ihr reines Handlungsgerüst reduziert wird, verliert sie ihren eigentlichen,
ihren inneren Grund.
Mag sein, man ist nach zwei Filmen ein wenig gesättigt, doch scheint diesem
letzten Teil die mythische, dunkle Tiefe zu fehlen, die Jackson den beiden
Vorgängern aufprägen konnte. Vielleicht, dass er alles zu einem Höhepunkt
führen wollte, wofür auch der, dramaturgisch richtige, Verzicht auf Sauron
und die Säuberung des kleinen Auenlandes von kleinen Ganoven spricht. Der
Film verliert zuweilen die Stimmung unter den Bildern, er opfert die
atmosphärische Erzählung der visuellen Opulenz. Wenn Aragorn die Armee der
Toten beschwört, wenn er das legendäre Schwert seiner Vorfahren, erhält,
dann verweigert die Szene jenes untergründige mythische Grummeln, dann sind
das normale, zu normale Vorgänge. Auch der große Gandalf, seinen Stab wie
das Requisit asiatischen Kampfsports wirbelnd, erscheint in der Schlacht als
etwas zu klein. Der Statthalter Denethor ist einschichtig auf den
Machterhalt reduziert, wenn sein Sohn todgeweiht ins Feld zieht, wird der
Vater schmatzend dazwischen geschnitten. Kankra, das fressende Ungeheuer
eigentlich ein Buch früher vorkommend, krabbelt auch irgendwie zu klein, zu
undüster. Das bewirkt in der Summe einen Verlust an Symbolik, an
überhöhender Stilisierung, an Ritualität: Die düsteren Schatten, die die
Vorgänge werfen, werden flacher und wenn diese Geschichte von etwas beseelt
wird, dann von der Kraft ihrer unbestimmten Symbole und lastenden
Bedeutungen.
Doch im Ganzen ist diese Trilogie ein visuelles und logistisches
Meisterwerk, ein Überwältigungskino, das seinen Platz behaupten wird, auch
in den Herzen der Fans.
Es ist getan sagt Herr Frodo, der Messias aus Mittelerde, ehe er zu den
Grauen Anfurten aufbricht und ein wenig klingt es wie Es ist vollbracht.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2003
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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