Ballett der Beinlosen
Manchen fehlt nur ein Fuß, anderen das ganze Bein. Manche haben Prothesen, die sehen aus wie aus der Pionierzeit der Orthopädie und alle haben diese Krücken bis unter die Achseln. Dann tanzen sie, ein Ballett der beinlosen Männer. In Zeitlupe rennen sie, sie schwenken ihre Krücken, sie lassen ihre Stümpfe baumeln. Warum? Weil es Prothesen regnet. Langsam, surreal, wie Magrittes absurd-reale Melonenmänner schweben die körperlosen Beine zu Boden. Ein eindrückliches Bild. Und ein gesuchter Effekt, ein erkennbar auf seine Wirkung hin komponiertes Arrengement.
Reise nach Kandahar, der Film des Iraners Mohsen Makhmalbafs ist ein sehr ambivalentes Erlebnis. In der quasi-dokumentaren Ästhetik des iranischen Filmes begleitet er Protagonistin auf ihrer Reise durch das gespenstische Land. Und es ist, als würde ein didaktischer Themenkatalog abgearbeitet: der Arzt, der weibliche Patienten nur durch einen Vorhang untersuchen darf, die Koranschule, in der die Schüler bellen, was eine Kalaschnikow ist. Und der Überfall auf den Reisekonvoi: weil die Menschen in der Wüste ein prachtvolles Bild ermöglichen. Keine Bedrückung, nur berückend schöne Bilder. Und diese Bilder verraten, dass ihr Regisseur sie mehr liebt als das, wofür zu stehen sie vorgeben.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2002
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
Bilder: Movienet
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