„The Wolf of Wall Street“ mit dem glänzenden Leonardo DiCaprio
ist eine grelle dreistündige Orgie
Das Gesicht als ob es gleich explodieren müsste im Druck dieser wilden Lust, in dieser tobenden Maßlosigkeit. Dann nimmt er den Zwerg und schleudert ihn gegen die Wand, gegen die Scheibe, in deren Mitte ein Dollar-Zeichen das Ziel vorgibt. Der fliegende Zwerg knallt gegen die Scheibe, die Meute johlt. Betriebsvergnügen im Hause Stratton Oakmont.
Martin Scorsese hat diesen Film nach der halbwegs wahren Geschichte des wahren Börsenmaklers Jordan Belfort inszeniert. Belfert betrog mit seinem Unternehmen die Anleger um etwa 200 Millionen Dollar, bekam dafür am Ende komfortable 22 Monate Gefängnis und führte dazwischen ein exzessives Leben – Geld, Frauen, Drogen. Später schrieb und verkaufte er seine Autobiografie und lebt heute, heißt es, als renommierter Verkaufstrainer. Und wenn es noch eines Beweises bedurfte, welch guter Verkäufer der Mann ist: Er hat seine Geschichte, die Geschichte eines Kriminellen, der Tausende Menschen schädigte, einem der renommiertesten Regisseure der Welt verkauft.
Und Martin Scorsese hat dieses Buch verfilmt, als wolle er sich selbst einmal eine Orgie gönnen. Denn eine filmische Orgie, ein cineastischer Taumel ist dieser Film: Er erzählt sehr wenig Geschichte, seine Story reichte vielleicht für eine normale Spielfilmlänge, doch Scorsese erzählt drei Stunden lang: Und er erzählt so, dass wir beinahe vergessen, dass es beinahe keine Geschichte gibt, dass wir beinahe nur die ständige Wiederholung des immer Gleichen sehen: Die Erzählung der Maßlosigkeit, das Glühen der Gier, das Getriebensein von Geld, Geilheit und Kokain.
Jede Bilanz ein Beschiss, jede Party eine Orgie
Jede Bilanz ein Beschiss, jeder Verkauf ein Verarschen, jede Party eine Orgie. „Fickt sie!“ ist ihr Mantra, sie meinen Weiber wie Kunden. Und das ist drei Stunden so erzählt, dass wir uns auf intelligente Weise unterhalten fühlen und, da wir sehen, dass der Blick auf die Figuren durchaus kritisch ist, können wir das mit einem guten Gefühl.
Martin Scorsese gönnt sich diese Orgie und er gönnt sie seinem Hauptdarsteller. Leonardo DiCaprio hat für diese Arbeit gerade den Golden Globe als bester Hauptdarsteller einer Komödie erhalten und er ist ein Favorit für den Oscar.
Sollte er diesen, was durchaus gerechtfertigt wäre, gewinnen, dann wäre das auch eine Art Ehrung für das Lebenswerk des 39-Jährigen. Denn dieser Jordan Belfort, den DiCaprio hier spielt, glänzend spielt, erscheint wie die Summe seiner Rollen, seitdem er neben der „Titanic“ im Eis versank. Und vor allem wie die neue, verbesserte Auflage von „Der große Gatsby“. Als hätte Scorsese, nachdem er den Film sah, gespürt, dass man diese Orgien mit diesem Schauspieler erzählen kann, wenn die Oberfläche auch zugleich das Thema ist; wenn diese Oberfläche nicht, wie es bei Baz Luhrmann war, ein sensibles Kammerspiel verbirgt. Wenn das, was zu erzählen ist, eben die Oberflächlichkeit ist, das Glänzen und das Schreien, die Hemmungslosigkeit und die Maßlosigkeit.
Und wenn dieser glänzende Playboy Leonardo DiCaprio einmal völlig losgelöst von der Leine könnte. DiCaprio ist die Lust an dieser Arbeit anzusehen: Wie er diesen Typ in die Maßlosigkeit treibt, wie er ihn explodieren lässt vor Lust, wie er ihn schrill und grell vor sich her jagt als Farce: Und uns doch die klammheimliche Freude an der Figur gönnt; wie er ein unmoralisches Schwein ist und zugleich ein glitzender Verführer.
Etwas Besseres als dieser Film konnte dem wirklichen Jordan Belfort nicht passieren. Er wird ihn noch ein wenig mehr genossen haben als wir, denn er bekam Geld dafür. Und er wird seine Vorträge jetzt noch ein wenig teurer verkaufen können. Die von ihm Geprellten mögen das nicht ganz so amüsant finden.
Henryk Goldberg , TA 16.01.2014
Bilder: Universal
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