Unterm Eis
Als sie ihn das letzte mal sah, da glitt er von der Eisscholle ins Meer und mit ihm versank ein Traum vom Glück. Jetzt haben sie eine zweite Chance, Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in Zeiten des Aufruhrs. Und nutzen sie so, dass es schon für den Golden Globe reichte und für den Oscar noch reichen könnte.
So beginnt es mit Romeo und Julia. Party, Blicke, Gespräche, Lächeln. Er sei, sagt er, Hafenarbeiter, und nächste Woche vielleicht Kassierer. Sie lächelt so ein Frauenlächeln, in dem Jungen steckt mehr, viel mehr, sie weiß es einfach. So beginnt ein Leben, in dem alles möglich ist. Und das Glück scheint mehr als bloße Hoffnung, es tritt auf als selbstgewisse Sicherheit. Sam Mendes (American Beauty) erzählt diese Geschichte nach einem Buch von Richard Yates, Revolutionary Road erschien 1961. Es ist der sprechende Name der Straße, in der Frank und April Wheeler ihr nettes Leben haben mit ihrem netten Haus und ihren netten Kindern und ihren netten Nachbarn. Und es ist die Straße, in der ihr Leben scheitert. Und Sam Mendes entlässt uns mit der Frage, ob ihre unbegrenzte Fortsetzung nicht die eigentliche Brutalität gewesen wäre. Der alte Mann, als seine Frau redet und redet, schaltet still das Hörgerät ab. Geht so das Glück?
April hat zwei Kinder geboren und Frank hat einen langweiligen Job und beide fühlen eine Leere. Aber April weiß, dass es nicht das Schicksal ist, sie sind es. Man braucht Rückgrat, um so zu leben, wie man will sagt sie, die reine Wahrheit. Und schlägt einen Umzug nach Paris vor. Sie jubiliert ihr Nach Paris so wie Tschechows Schwestern ihr Nach Moskau!, der Sehnsuchtsruf, dem die Vergeblichkeit schon eingeschrieben ist. Denn Frank, er ist ein Mann, ist erst begeistert und dann doch lieber erfolgreich. Er schläft mit der Sekretärin, April mit dem Nachbarn und dann hat sie es satt, die nette Mrs. Wheeler zu sein. Fick wenn du willst. sagt sie und meint es auch. Der psychopathische Sohn der Nachbarn zeigt auf den Bauch der schwangeren April: Ich bin froh, das ich nicht dieses Kind bin. Doch am schlimmsten ist es, wenn sie sich Mühe gibt, wenn sie das Spiel spielt, wenn sie jede Hoffnung fahren lässt, wenn die Resignation endgültig wird, wenn sie die Leere annimmt als ihr Schicksal. Willst du lieber Rührei oder Spiegelei? und ist nett und freundlich auf eine Weise, die kalt ist und grauenvoll, in einer Art, dass die Frage heißt, so zu leben oder gleich zu sterben.
Sam Mendes hat inszeniert wie es heute kaum noch geschieht: Unter weitgehender Rücknahme der filmischen Mittel, so, dass man den Schauspielern zuschaut beim Arbeiten, nicht dem Cutter; so dass das Medium Film für die Darsteller da ist, nicht umgekehrt. Einmal mal nur, da geht Frank zur Arbeit, da füllt Mendes die Leinwand mit Kino: Dutzende Männer gehen zur Arbeit, die Hüte ähnlich, die Krawatten, die Anzüge, ein wenig wie Magrittes fliegende Männer. Alles Männer wie Frank, alle auf dem Strich des lustlosen Jobs für die Frauen, die Kinder, die Häuser, die Reputation.,Ruhige Bilder, überwiegend Innenräume, überwiegend Bühne für Schauspieler. Und manchmal ist es, als spielten sie Wer hat Angst vor Virginia Woolf?.
Kate Winslet, Leonardo DiCaprio und, mit einer kleineren, aber vorzüglich gespielten Rolle, Michael Shannon. Shannon, der psychisch gestörte Sohn der Nachbarn, spielt gleichsam einen Golem mit der Seele eines Kindes und dem Verstand eines Analytikers. Wenn ich deinen Blick sehe, fange ich auch an, mit ihm Mitleid zu kriegen sagt er zu April und Kate Winslet kann genau das spielen. Diese Trauer, wenn die Gewissheit der sterbenden Träume ihr Gesicht verschattet. Diese ozeantiefe Leere, wenn sie resigniert und die nette Hausfrau gibt, wenn sie ihn nach dem Job fragt, der nicht einmal ihn interessiert. Dieses Lächeln, da ist um den Mund ein Hauch, der bläst die Asche aus ihrer Seele hoch. Dieser Blick, wenn sie sich ein letztes mal im Spiegel betrachtet mit hoffnungsleerer Trauer: Das hätte sie werden können, so schön, so glücklich. Eine faszinierende Arbeit, Oscarwürdig und an jedem großen Schauspielhaus dieser Welt eine erlesene Arbeit.
Und Leonardo DiCaprio, erwachsen geworden wie seine Titanic-Partnerin. Der nette Junge, der immer noch nette Kleinbürger, der seiner eigenen Euphorie nicht glaubt, der verzweifelte Mann, der gegen seine Frau tobt und rast und doch weiß, dass er sich meint und seine Verzweiflung. Der ungläubig Hoffende, wenn seine Frau an einem Morgen beginnt, das Glücks-Spiel zu spielen und der doch ahnt, wie fragil, wie falsch das ist. Schon lange nicht mehr nur ein gut aussehender Mann: ein erstklassiger Schauspieler. Wer wissen will, was Regie ist, kann sich hier selbst beobachten: Herausragende Schauspielkunst, der man fasziniert folgt und einigermaßen unbewegt. Das ist Sam Mendes, der inszeniert kühl wie im Labor, eine Versuchsanordnung.
Als Jack im Meer versank, weinten wir mit Rose. Doch vielleicht haben sich die Liebenden von der Titanic so das Schicksal erspart, enttäuscht zu werden und zu enttäuschen: Soviel Eis wie Frank und April haben Jack und Rose nie gesehen. Und weil sie früh gestorben sind, liebten sie sich immer.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben März 2009
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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