Eine kurze Geschichte der Zeit
Der greise Säugling ist an seinem Platz, im Altersheim. Dort ist es, wo die Menschen in Windeln gehüllt sind und in ihre eigene Welt. Dort ist es, wo „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ beginnt
Das ist ein sehr seltsamer Film. Es ist, als erklimme eine merkwürdige Kuriosität vom Jahrmarkt miteins den geistigen Rang des Hamlet. Als beginne die Dame ohne Unterleib zu philosophieren über die Schönheit des Kindes, als erläutere der Zwerg die Größe des Menschen: Und wir fänden es kein bisschen komisch. So wie wir diesen Kindergreis kein bisschen komisch finden, wenn der siebenjährige alte Mann an seinen Krücken durch die Straßen humpelt. So wie wir nicht fragen, weshalb niemand den Arzt ruft, nicht denken, wie albern das sei. Wir nehmen das, wie es ist. Und ungefähr davon handelt dieser Film: Das Leben ist, wie es ist und so müssen wir es nehmen. Eric Roth, der schon Forrest Gump schrieb, hat eine Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald als Anregung genutzt, David Fincher (Seven) hat sie für knapp drei Stunden inszeniert. Es ist die Geschichte des Benjamin Button, der als Säugling die Gestalt und das Gesicht eines kleinen Greises hat und sein Leben entgegen der biologischen Einbahnstraße leben muss. Das greise Kind wird ein junges Mädchen treffen das einmal seine Frau sein wird. Und am Ende wird er sterben in den Armen der alten Frau, die die Mutter seiner Tochter ist und er wird ein greinendes Kind sein, das in den Windeln stirbt. So sind es immer die Windeln am Ende und der Kopf, der nichts weiß von sich und dem Menschen, der er einmal war. Dieser Film erhielt 13 Nominierungen für den Oscar. Mit dieser exorbitanten Heraushebung ist er vermutlich überschätzt, aber aus begreiflichen Gründen. Denn es geschieht extrem selten, dass sich in einer Großproduktion die letzten Raffinessen der digitalen Technik, ein wunderbarer Schauspieler und ein wirklicher Gedanke, ein wirkliches Gefühl so verbinden. Es ist faszinierend, wie ein Kind mit dem körperlichen Ausdruck eines alten Mannes und einem Gesicht, dass so etwas wie ein Konzentrat aus den Zügen Brad Pitts ist, entsteht und nicht einen Augenblick unglaubwürdig, albern oder gar monströs erscheint. Und Brad Pitt wird nicht nur, etwa in der Mitte, als ein glänzend aussehender Mann präsentiert, er präsentiert sich auch als ein glänzender Schauspieler. Cate Blanchett wächst ihm gleichsam entgegen. Einmal, da tanzt sie für ihn im Gegenlicht, Trompete und Klavier geben den Ton dazu und die Trauer, der das Ende schon eingeschrieben ist. Dieser ganze Film ist von einer sanften Melancholie durchwoben, der Melancholie, die aus dem Wissen um die Vergänglichkeit kommt, der Unausweichlichkeit. Und weil Benjamin Button gleichsam am anderen Ende des Lebens stirbt, widerfährt ihm und Daisy im Grunde nur, was auch anderen Menschen widerfährt: Ihre Lebenswege berühren sich nur einige Zeit als Mann und Frau. Diese Zeit ist die beste des Filmes und das ist vielleicht sein Problem. Etwa in der Mitte, wenn die beiden in einem Alter sind, in dem sie ihre Liebe leben können, dann erleben, erfühlen wir den Kern der Erzählung: Die Trauer, dass etwas sehr schönes zu Ende gehen muss, das Wissen, dass auch diese Liebe das Alter nicht erleben wird. Dann haben die beiden etwas Großes zu verlieren, ihre Liebe. Doch diese Liebe hat ein Vorher und ein Nachher, Benjamins Kinderjahre im Altersheim, sein Leben zur See und, mit Tilda Swinton, in Murmansk. [ad#button1]Seine Fluchten nach Indien, sein Verdämmern als Kind. Das wird mit viel Liebe und Wärme erzählt, mit gedeckten Farben und vielen Toden, die uns nie wirklich weh tun. Aber es ist, bevor die Liebe kommt, immer nur ein Zeigen, erklärt von der Stimme im Off, und kaum je ein dramatisches Erleben. Und natürlich ist das die Voraussetzung, um die spätere Trauer zu verstehen. Das ist interessant, aber es ist auch ziemlich lang. Und die Rahmenhandlung, die sterbende Daysie erzählt ihrer Tochter im Krankenhaus von New Orleans, ehe Katrina kommt, ist eine Hilfskonstruktion, weil dieses Märchen kaum im Präsens zu erzählen ist. Das ist ein bemerkenswerter, ein anregender, ein empfehlenswerter Film, aber ein wirklich großer Film ist es nicht. Autor: Henryk Goldberg Text geschrieben März 2009 Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine Bild: Warner Bros.
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