Das Million Dollar Baby

Clint Eastwoods „Der fremde Sohn“ macht Angelina Jolie oscarfähig

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Regel Nummer eins, sagt Christine, fange keinen Streit an. Aber bringe jeden Streit zu Ende. Und also erzählt Clint Eastwood wieder einmal von einem Menschen, der eine Sache zu Ende bringt. Nur, dass es dieses mal eine Frau ist, nur, dass es dieses mal Angelina Jolie ist. Und sie bringt ihre Sache glänzend zu Ende.

Es scheint die Zeit der Demut. Tom Cruise verschwand vollkommen hinter seinen Stauffenberg, so wie Angelina Jolie hier hinter ihrer Christine verschwindet. Sie ziehen die Figuren nicht auf sich, sie ziehen sich mit ihrem Ruhm hinter sie zurück, damit der Glamour nicht die Figuren überglitzert. So etwas machen Stars nur, wenn sie den Ehrgeiz entwickeln, nicht mehr primär auf dem Boulevard vorzukommen. Angelina Jolie kommt als Christine Collins nun als eine Favoritin für den Oscar vor. Aus dem Million Dollar Baby des Boulevard ist eine richtige Schauspielerin geworden. Und die richtige Christine Collins kam im richtigen Leben in einer richtigen, einer wahren Geschichte vor, Los Angeles, 1928.

Ihr neunjähriger Sohn wird entführt, nach fünf Monaten bringt ihn die Polizei zurück und dann fällt der vielleicht aberwitzigste Satz, der überhaupt vorstellbar ist: Sie müssen sich irren… Ein Polizist sagt ihn zu einer Mutter, die feststellt, dieses Kind ist nicht ihr Sohn. Eine Mutter, die ihren Sohn nicht erkennt, weil sie fünf Monate getrennt waren. Der Junge ist beschnitten, das war sein Entführer sagt die Polizei, und er ist kleiner, das ist die Wirbelsäule, sagt die Polizei. Er kennt seine Lehrerin nicht und seinen Platz in der Klasse, er hat andere Zähne. Das tut nichts, sagt die Polizei, das ist Walter Collins. Denn das Los Angeles Police Departement ist ein korruptes Rattennest und sie brauchen eine gute Presse. Christina Collins braucht ihren Sohn und weil die Polizei keine aufgeregte Mutter brauchen kann wird die in die Psychiatrie verbracht, Druck durch Wasserschläuche und Elektroschocks. Bis der öffentliche Druck sie befreit. Dennoch kein Happy End, Walter wurde das Opfer eines Massenmörders.

Und, man muss sagen: leider, erzählt Clint Eastwood auch von dem. Der Film ist in jeder seiner Szenen, da merkt man den Regisseur, stringent und konzentriert, als Ganzes, als Story ist er es nicht. Da spürt man die Gefährdung von Kunst, wenn sie wirklichkeitsbesessen ist, da läuft die Erzählung um den Mörder (ein glänzender Psychopath: Jason Butler Harner) weg von dem, was dieser Film eigentlich ist, die Geschichte einer Mutter, die Geschichte von einer gegen alle, wenn es um alles geht, um ihr Kind. Christine trägt die Lippen so rot, so aggressiv wie die Zeit es will, sie gleitet, sie schwebt mit Rollschuhen durchs Büro. Sie bittet und sie fleht. Und sie kämpft. Nicht mit Aggression, nur mit der unerschütterlichen Selbstverständlichkeit, mit der eine Mutter um ihren Sohn kämpft. Sie tut es einfach. In der Psychiatrie, unter den kalten Wasserstrahlen, unter den Elektroschocks ist von dem Weltstar Angelina Jolie nicht ein Hauch, da kämpft und leidet eine Mutter. Und tut es so, dass sie mit Recht für den Oscar nominiert ist. Und weil eine solch glänzende Leistung für Angelina Jolie überraschender ist als für Kate Winslet, obgleich diese etwas besser ist, könnte es durchaus sein, dass sie gewinnt. In jedem Falle ist die Geschichte dieser Mutter das Zentrum des Filmes. Um die Geschichte zu erzählen, die ihn interessiert, das Vertrauen in die Selbstreinigung der Gesellschaft, braucht Eastwood allerdings noch einiges mehr, den engagierten Pfarrer (John Malkovich sehr dezent), die Demonstranten, das Gericht, den Mörder. Das ist schade, denn es führt weg vom Kraftzentrum dieses Filmes.

Doch was bleibt ist noch immer ein Film von Clint Eastwood

Autor: Henryk Goldberg