Laute Bilder denken nicht
Ein deutscher Film, kitschig und sehenswert
Die Kirche zu Feldberg, die Menschen frohgestimmt und die Orgel auch, ein Wettbewerb. Auf der Empore die braven jungen Musici im Sonntagsstaat und Johannes Elias Alder, das Naturwunder von oben aus den Bergen, keine Schuhe und auch das übrige nicht der Erwähnung wert; die jungen Herren Musikanten kichern und selbst die dummen Balgtreter tun wie die großen Leute vor dem Bauernlümmel. Unten im Schiff bilden flackernde Kerzen den Kreuzweg, wie die Befeuerung einer Startbahn, wie um den gleich stattfindenden Himmelsflug des Johannes Elias Alder angemessene Illumination zu erweisen. Dann, wenn die Orgel weit ausgreift in den Himmel, wenn das Wunder sich vollzieht, geschieht, was geschehen muß: Der Sturm, den dieser Musiker entfacht in den Herzen der Menschen Publikums fährt als ein sichtbarer Wind verlöschend über das Band der Kerzen.
Natürlich haben sie alle recht, die dem Joseph Vilsmaier jetzt attestieren, er sei ein bekennender Heimatfilmer, ein wirkungsgeiler Effektenhascher, ein farbenspritzender Genremaler. Natürlich genießt die Kamera, wenn sie, das Tal überfliegend, die Berge liebkost wie einen kostbaren Stein, ihr eigenes Pathos, und das sieht man ihren Bildern an. Natürlich quiecken die Schweine, blöken die Schafe, murmeln die Bäche und rauschen die Gräser und manchmal mag es da die Sau grausen. Natürlich zündet Vilsmaier die Kerzen nur an, um sie hernach effektvoll ausblasen zu können. Natürlich ist das ein detailpusseliges Ambiente, das für höhere Kunst eine Art von Ghetto ist. Natürlich, das ist alles richtig, aber es ist nur die Hälfte. Die andere Hälfte ist ein Film, der lebt, eine Großproduktion Film aus Deutschland, die, sagen wir: einen Arsch in der Hose hat. Eigentlich ist der literarische Geniewurf von Robert Schneider nicht verfilmbar, und Vilsmaier hat es auch nicht getan, selbst wenn er das, mutmaßlich, glauben wird. Schneider erzählt die Geschichte des naturgenialen Bauernburschen, der zerbricht zwischen der Musik und der Liebe, und sich schließlich – „Kömm, o Tod, du Schlafes Bruder“ – der Welt durch Verweigerung des Schlafes entzieht, da seine ideale Liebe sich jenseits des Fleisches begibt. Aber die Fabel ist nur die halbe Geschichte, die andere Hälfte ist diese Sprache, diese hagestolze Eleganz. Schneider balanciert mit einem staunenswerten Sprachempfinden am Rande der Trivialität, des sich selbst verschlingenden Manierismus und fängt sich, sobald die Balance einmal gefährdet scheint, unglaublich sicher ab, ein höchst lesenswertes Buch. Diese Sprache schafft Atmosphäre und Distanz in einem, das ist ihre große Leistung und das ist wohl nicht verfilmbar. Wenigstens nicht durch Vilsmaier, denn wenn er etwas nicht mag, dann ist es Distanz.
Vilsmaier muß klotzen, mit Bildern, mit Atmosphäre, mit Authentizität. Mit vitaler Unbekümmertheit nimmt er die Geschichte unter seine Bilder-Walze. Und die Bilder denken nicht, wenigstens nicht, wenn sie so laut, so schreiend wie bei Vilsmaier daherkommen, sie wollen nur wirken, nur beeindrucken – und das merkt man ihnen an: Als entrieten diese Bilder eines tiefen inneren Grundes. Deswegen ist auch, außerhalb des Ironischen, wie der größere Teil der deutschen Filmkritik, kaum über sie zu schreiben: Sie sind nicht übersetzbar in Bedeutungen.
Aber es sind doch Bilder.
Will sagen, der Autor hat ihnen zwei Stunden lang zugeschaut und unredlich wäre, zu sagen: gelangweilt. Mitunter ein wenig von obenhin, das ist dem freischwebenden Pathos geschuldet, öfter wohl aber interessiert. Dieses ungehemmte Spielen mit den filmischen Muskeln, diese bayerische Kraft- Maierei, Vilsmaiers ästhetisches Bieder-Maier: Das hat schon was, und es ist etwas durchaus Eigenständiges. Ein deutscher Film, der sich, im Sinn des Wortes, sehen lassen kann. Andre Eisermann, der Elias, ist die Metapher des Ganzen: Er ist recht gut, somnambule Jenseitigkeit, Und: Er ist etwas sehr darum bemüht, gut zu sein.
„Schlafes Bruder“ changiert zwischen Kunst und Kunst-Handwerk, ein bilder-deftiger Film, der all das ist, was man ihm nachsagt. Aber eben auch ein richtiger Film.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben: 2000
Text: veröffentlicht in filmspiegel
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