Das konservative Kolosseum
Ridley Scotts Sandalenfilm mit frischen Sohlen
Die Alliierten greifen an. Ihre überlegene Technik frisst Schneisen des Todes in das deutsche Heer. Dann steht Mann gegen Mann. Wir sehen das Blut und die separierten Gliedmaßen in immer schnelleren Schnitten, die Zeitlupe kost Stahl, der in Körper dringt. Nein, dies ist nicht das Operationsgebiet Omaha Beach, es ist das Operationsgebiet Germanien. Hier wird auch nicht der Soldat James Ryan gerettet, hier wird das römische Reich befestigt. Der deutsche Wald brennt, der deutsche Schnee fällt und der deutsche Mann grimmt. Und doch ist diese Eröffnung von Ridley Scott die Fortführung der Eröffnung von Steven Spielberg mit den gleichen Mitteln.
Natürlich ist „Gladiator“ die Widerbenutzung eines toten Genres, da das Genrekino im Ganzen , der Western, das Musical mit ihren festen Riten , ziemlich tot ist, seine Wiedererweckung ist es nicht. Denn natürlich hat Clint Eastwoods glänzender Spätwestern „Erbarmungslos“ das Genre so wenig reanimiert wie es „Gladiator“ tun wird, beide sind kaum mehr als cineastische Wiedergänger. „Gladiator“ ist als Sandalenfilm nicht annähernd so gut wie es „Erbarmungslos“ als Western war, doch ansehbar und mit einem hohen Schauwert.
Das Interessanteste an dieser Arbeit ist die Beobachtung, wie das vorgegebene Milieu, die Atmosphäre Roms aus Wagen, Sand und Steinen, sich den Maßgaben der gegenwärtigen Ästhetik anverwandelt und ihr zugleich widersteht. Manchmal haben die Kämpfe einen sanften Hauch des Hongkong-Kinos von John Woo mit seinen in der Zeitlupe gefrierenden Ritualen, manchmal gewinnt das Blut in den Wäldern Germaniens die Anmutung des Blutes vom Omaha Beach. Im Ganzen aber, denn Ridley Scott, dem wir „Blade Runner“ und „Thelma & Louise“ verdanken, ist ein Mann mit Feeling, im Ganzen liefert sich die antike Monumentalität der modernen Bildsprache nicht aus sie flirtet nur mit ihr. Denn Scott weiß, dass die Monumentalität dieser digitalen Ausstattungsorgie verloren ginge, wenn sie inszeniert würde wie ein Videoclip. Der römische Schwertkampf ist nicht spirituell aufgeladen, wie es die Schwerter Asiens sind durch die Philosophie des geheimnisvollen Ostens und die Revolver es sein können durch die Riten des wilden Westens. Das Kolosseum, ließe sich sagen, selbst wenn es digitalisiert wurde, ist konservativ per se und bedarf des bewundernd ruhenden Blickes, nicht der jagenden Bewegung. Und dennoch vermag Scott, das ist nicht selbstverständlich bei diesem Aufwand, die Ausstattung im Hintergrund zu halten, er zeigt sie, aber zeigt sie nicht kraftmeiernd.
Etwas spiritistische Aufladung sucht er indessen schon. Maximus, sein Held, der als General Tausende und als Gladiator Dutzende Tode bewirkt, [ad#gladiator1]diese sehen wir alle, lässt immer wieder die Ähren des Korns durch die Hände gleiten, immer wieder greift er in den Sand, als beziehe er seine Kraft aus Gaias Schoß: Es ist, als wolle Scott die Handlung ist nach Christi aber vor der Anerkennung als römischen Staatsreligion , durch dieses zentrale Bildmotiv das Christentum mit den Naturreligionen versöhnen. Und unter tief jagenden Wolken wird der Held am Ende entrückt, hart am Rande des Absturzes.
Neben der Ausstattung lebt der Film von sorgfältig choreographierten Kämpfen, ein Film also, der einen Unterhaltungswert besitzt für Leute, die Asterix auch mögen, wenn es ernst gemeint ist. Und dann darf es auch als lässliche Sünde gelten, wenn die Geschichte nichts ganz so kolossal geriet wie das Kolosseum.
Ridley Scott hat gut besetzt und inszeniert. Russell Crowe, eben noch als ängstlicher „Insider“ zu sehen, ein Mann, dem Männer auf der Straße kaum ausweichen würde, behauptet seinen Gladiator dennoch mühelos: als Schauspieler, nicht als Bodybuilder. Joaquin Phoenix, der Bruder von River, spielt in seiner weinerlichen Brutalität Peter Ustinovs Nero hinterher, doch durchaus eigenständig. Oliver Reed, Proximo, starb kurz vor Abschluss der Arbeit: Wenn wir Proximo sterben sehen, ist Reed bereits tot, die Szene ist eine digitale Manipulation. Der virtuelle Tod folgt dem tatsächlichen.
Ein Film auch mit deutlicher Bezüglichkeit auf das moribunde Entertainment der Gladiatoren und ihre späten Nachfahren. „Habt ihr euch gut unterhalten?“ ruft der Held der Arena, nachdem er seine Mitbewerber geschlachtet hat. Wer nicht froh wird ohne Botschaft mag das so medienkritisch verstehen, wie es gemeint ist.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben: 2000
Text: veröffentlicht in filmspiegel
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