Schlachthof der Gummibären
Wir Wunderkinder: Rodriguez & Tarantino
Richard Gecko hat ein Problem. Wenn der Ranger in dem Schnapsladen, in dem sich die Ganoven mit der Geisel ducken, gerade gehen will, dann schießt ihn Richard in den Hinterkopf. Wenn der Schnapsverkäufer tut, was man ihm sagt, dann will Richard ihn erschießen. Wenn die flüchtenden Brüder den Ort verlassen, sagt Seth „Verstehst du die Bedeutung von ’nicht auffallen‘?“, da brennt hinter ihnen die Luft und das Haus, in dem die Leiche liegt. Wenn Seth das Motel verläßt, um zu sehen, wie die Lage an der Grenze ist, da sagt Richard zu Gloria „Willst du mit mir fernsehen Gloria?“ und wenn Seth zurückkehrt ist die Geisel tot. Richard fühlt keine Lebens-Lust, wenn das Blut nicht lustig spritzt, das ist sein Problem. Richard Gecko ist Quentin Tarantino. Und Quentin Tarantino hat auch ein Problem.
Es ist das gleiche Problem, das auch Robert Rodriguez treibt, und so sind sie es gemeinsam angegangen. Rodriguez war der Wunderknabe, der für eine Handvoll Dollar „Oh!“ der Erwachsenen, im Sand buddeln und Eierpampe werfen, in der Annahme, es werde das Wunder sich schon einstellen, denn es stellte sich immer ein. Es kommt aber nicht, es kommen nur Blut und Matsch und platzende Vampire, die in Wirklichkeit explodierende Gummibärchen sind, die sich von rotem und grünem Shampoo ernährt haben. Es ist ein Mißlingen von etwa dieser Art: Zwei Jungens wollen provozieren und pinkeln in den Nonnengarten. Nur, dort wohnen jetzt die Nutten und lächeln müde.
Die beiden Gangster haben es geschafft. Mit den Geiseln über die Grenze nach Mexico, der alte Priester und seine Kinder waren brav. Nun sind sie da. Das „Titty Twister“, geöffnet from Dusk till Dawn, vom Abend bis zum Morgen, hält noch mehr, als es verspricht. Es sieht aus wie ein albernes Gruselschloß auf dem Rummelplatz und es ist ein albernes Gruselschloß auf dem Rummelplatz der beiden Burschen.
Zwei Leute, zwei Filme, Tarantino hat geschrieben (und gespielt), Rodriguez inszeniert. Ein Road-Movie bis zur Grenze und dann ist der Vorspann beendet und es beginnt die Grenz-Überschreitung. Die geilen Weiber im „Titty Twister“ sind Vampire, Biker und Trucker fester Teil der Nahrungskette. Eine Schlacht beginnt, ein Schlachten. Und je glitschiger die bösen Gummibärchen platzen, je glibbriger die gepfählten Kombattanten sich verflüssigen: So öder, so infantiler wird der Schmuddelplatz der Wunderkinder. So rührend angestrengt zeigen sie ihren Trotz, ihren unbedingten Willen zur Geschmacklosigkeit vor, daß uns schon wieder dauern mag: Die guten Jungen, solche Mühe haben sie sich gegeben.
Tarantino und Rodriguez sind, tatsächlich, Hochtalente. Sie haben beide ziemlich viele Filme gesehen und machen grinsend, spielend, neue Bilder aus den alten. Aber sie haben nichts zum Erzählen, nur zum Zeigen, sie sagen nichts, sie brüllen nur. Das war wunderbar in „Pulp Fiction“, da schienen die Brutalo-Bilder von einer cineastischen Intelligenz, da erzählten die Bilder, das die Dinge nichts mehr zu bedeuten haben. Da lag eine zweite Ebene, womöglich ungewollt, wahrnehmbar unter den Bildern und Sätzen, da war ein intelligent-verspielter Zynismus Inspiration und Gegenstand in einem. Hier reicht es nicht einmal zum Zynismus, denn Zynismus benötigt eine Art von Kraft, hier werden nur das Studio und der Film mit rotem oder grünem Schleim verschmiert. Dem „Titty Twister“ fehlt eine Inspiration, ein Vorwand, ein Gedanke. Tarantino hat das Buch vor Jahren skizziert, ein junger Bursche denkt sich einen billigen Schmuddelfilm aus – und den haben sie jetzt gemacht, nur mit viel Geld. Indessen, ein B-Movie bleibt klein und billig, selbst wenn es teuer ist: Weil das „A“ im Kopf entsteht.
Das ist doch tröstlich.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben: 1996
Text: veröffentlicht in filmspiegel
Bildquelle: Buena Vista
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