Vom Glück, eine ruhige Kugel zu schieben
Die Coen-Brüder und wie der faulste Sack von L.A. auf dem Teppich bleibt
Als Jeff „The Dude“ Lebowski sich nachdenklich fragte, warum sein Gesicht in seiner Kloschüssel gewässert wird, da fing alles an. Und als der Kerl auf seinen Teppich pinkelt, da weiß es der Dude: Dies wird einer jener Tage werden, die ein Mann wie er nicht sonderlich zu schätzten pflegt. Ein Mann wie der Dude schätzt Tage, die sind, wie alle Tage waren.
So geht er zu dem dicken Jeff „Jeder ist seines Glückes Schmied“ Lebowski, mit dem sie ihn verwechselt haben, und holt sich einen sauberen Teppich. So begegnet er Mrs. Bunny „Ich mach’s für tausend Dollar“ Lebowski, die ihn überraschend bittet „Blas mal“, der lila Zeh ist noch nicht trocken. Später, als er diesem lila Zeh neuerlich begegnet, da ist er trocken und ein Einzelstück in Watte. Er gehört allerdings nicht Bunny, sondern einer deutschen Nihilistin, die auch sonst nicht reüssiert, außer diesem Zeh wird das deutsche Nihilisten-Kollektiv „Autobahn“ noch ein Ohr verlieren sowie den Glauben an die Kraft des Nihilismus. Die Entführungs-Nummer mit Bunny hat nicht so richtig funktioniert, irgendwie, und das hängt mit dem Dude zusammen, irgendwie. Irgendwie hängt es auch mit dem Dude zusammen, daß Mies Maud „Kunst ist vaginal“ Lebowski froher Hoffnung ist, sie hatte ihn vorher zum Arzt geschickt. Irgendwann davor oder danach haben sie noch das Auto von diesem Sohn von diesem Larry aus der Herz-Lungen-Maschine – „Er hat gesundheitliche Probleme“ – zerlegt, es war aber das Auto von diesem Nachbarn. Gut, da hatte sich Walter „Du mußt es nur wollen, dann ist es kein Traum“ Sobchack wohl geirrt. Doch als der Wind dem Dude die Asche von ihrem Kumpel Donny ins Gesicht bläst, haben auch sie es geschafft. Dann folgen sie ihrer eigentlichen Bestimmung. Beim Bowlen schieben sie eine gelassene Kugel, und wir scheiden in der frohen Gewissheit, dass sie es diesem schwulen Latino-Arsch schon einreiben werden.
Die Geschichte ließe sich auch anders erzählen, aber sie würde keine andere. Denn sie ist von Ethan und Joel Coen.
Diese zwei absurden Stunden über die unendliche Gelassenheit des Seins befriedigen die zweckfreie Lust des Schauens und Erkennens – wofern sich einer nicht in den Wirren labyrinthischer Sinnsuche verliert. Unter jedem Bild, das an etwas zu erinnern scheint, ist wieder ein Bild, unter jeder Geschichte wieder eine Geschichte – und sonst gar nichts. Es ist die endlose Brechung, wie vor dem Triptychon der Spiegel, eine Archäologie der Sinnlosigkeit, eine vertikale Kulturgeschichte. Die Lust der Coens ist das sanfte, zweckfreie Zitieren: von Filmen, von Sätzen, von Bild- und Sprachhülsen, von Motiven und Standards aller Art, ein anhaltendes Deja-vu. Das lädt sich auf mit Ironie, weil die ehrwürdigen Überlieferungen absurd werden durch die Banalität der Umstände. Und nichts wird so genau, so zärtlich erzählt wie die Rituale des Bowling: So erzählte man früher die Rituale der Revolver.
Jeff Bridges, „The Dude“, ist ein Hippie, der, als seine Generation zum langen Sturm auf die Chefetagen antrat, einfach sitzen blieb. Nichts als nett & faul, und wenn man den Namen „Lebowski“ ein wenig schüttelt, dann sieht er aus wie „Oblomow“. John Goodman, Walter, war in Vietnam und tobt cholerisch mit Bürstenhaar durch die Szenerie wie Michael Douglas in „Falling down“. Sie haben alle einen Stich, und sie haben ihn, weil sie Kinder und Enkel sind. Die Coens jonglieren souverän lächelnd mit den tradierten Klischees, und so entspricht die Struktur des Filmes seinem Grund-Bild: wie eine Bowlingkugel, die scheinbar ungeleitet, zufällig ihre Bahn zieht – und die doch zwingend dem Impuls folgen muß, den der Spieler auf sie übertrug, ehe sie seine Hand verließ.
„Verdammt“, sagt der Erzähler einleitend, „jetzt habe ich den Faden verloren.“ Das ist richtig, und das ist der Charme dieses Filmes.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben: 02/ 2006
Text: veröffentlicht in FILMSPIEGEL
Bild: UIP
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