Harrys Himmel
Vom Design zum Bewusstsein
Die Nacht scheint schwarz, das Pflaster schimmert feucht und Harry ist allein unter einem drohenden Himmel. Da kommt der Fahrende Ritter, die rollende Wärmestube für Magier in sozial schwierigen Lagen. Der Schaffner nimmt, ehe Harry einsteigen darf, einen Zettel aus der Tasche und leiert gelangweilt die vorgeschriebene Begrüßung. Es klingt so, wie es in amerikanischen Filmen klingt, wenn sie sagen „Sie haben das Recht auf einen Anwalt“.
Dabei, Harry hat schon einen. Er heißt Alfonso Cuaron und ist als Regisseur der Nachfolger von Chris Columbus. Und dem fallen so Sachen ein, wie das Zitat ungezählter amerikanischer Filmverhaftungen. Das Detail ist nicht notwendig für die Szene, aber es bringt einen Spaß hinein und eine Lebendigkeit auch für den Zuschauer, der das Zitat nicht als solches wahrnimmt. Einen besseren Anwalt hatte Harry nie, denn diese dritte ist die zweifelsfrei beste der bisherigen Verfilmungen. Und der Umstand, dass Joanne K. Rowling die Erfinderin, dieses mal bei den Dreharbeiten lediglich beratend mitwirkte, mag dazu beigetragen haben, so wie es für die Filme nach Tolkiens Herr der Ringe wohl ein Segen war, dass der Autor nicht mehr in der Situation war, Bedingungen zu stellen.
Der Mexikaner Alfonso Cuaron hat sich von seiner literarischen Vorlage in einer Weise emanzipiert, wie das bei Chris Columbus niemals der Fall war. Es ist ihm gelungen, das Stadium der devot-sklavischen Visualisierung zu verlassen: Dieser Film ist eine künstlerische Arbeit aus eigenem Recht, er lebt, er atmet, was von seinen Vorgängern nie zu sagen war. Woran liegt das?
Harry Potter und der Gefangene von Askaban ist, anders als die Vorläufer, nicht nur eine niedliche, nette Geschichte aus der Schule, mit allem was dazugehört, wenn die Schule Hogwarts heißt. Es ist eine Geschichte, in der die Farben düster sind und die Nächte bedrohlich. Es beginnt im Dunkel, sogar das Warner-Logo spielt mit, und es bleibt im Grunde so. Selbst im Quidditch – wer noch immer nicht weiß, was das ist, ist nicht wert, dass er es nun erfährt – sogar in dieser wichtigsten aller magischen Lustbarkeiten kommt keine Freude auf. Nass, kalt, dunkel – das ist eine Welt, in der sich Dreizehnjährige schon als unbehaust und bedroht erfahren können. Harrys Himmel ist deutlich dunkler als bisher. Es liegt Konsequenz darin, dass neben dieser Welt die nervenden menschlichen Verwandten keine wirklichen Gegner mehr sind, so wird die blöde Tante aufgeblasen und aufgelassen, ein Spaß.
Dieser Film hat also im Ganzen eine Atmosphäre, die Teil der Erzählung ist, die nicht mehr darauf reduziert wird, die geprägten Muster einfach wiedererkennbar zu visualisieren. Cuaron geht in gewisser Weise souveräner mit der Tricktechnik um – er hält die Special Effects nicht triumphierend in die Höhe, er zeigt sie in lässiger, charmanter Beiläufigkeit, so wie man das von Zaubereivorkommnissen in einer Zauberschule erwarten darf. Das eigenständige Leben in der Bildergalerie etwa, das Nörgeln der Fetten Dame, das hat Charme und Witz. Die Verwandlung des schlimmen Peter Pettigrew aus einer Ratte in einen Menschen und, vor allem zurück, ist schon sehenswert und wenn der Wolf aus Professor Lupin bricht, dann ist das nicht lustig. Der Wolf selbst allerdings wirkt etwas kretinös, was womöglich daran liegt, dass es dem Wesen dieser Inszenierung nicht entspricht, Grusel aus Monstern zu beziehen, sondern aus Erzählung und Atmosphäre. Und die Dementoren, deren Kuss eine Art Demenz bewirkt, scheinen wie die kleinen Brüder von Tolkiens Ringgeistern, wie sie Peter Jackson zeigte. Doch im Ganzen, ließe sich sagen, schafft Alfonso Cuaron den Schritt vom Design zum Bewusstsein, von der reinen Illustration des Buches also zum eigenständigen Erzählen seiner Geschichte.
Der dritte Grund für diesen Film sind seine Darsteller. Nicht nur Gary Oldman, der kaum zu erkennen ist, und Emma Thompson, die ihre Wahrsage-Hexe mit einer intelligenten Ironie spielt, als gehörten sie und ihr Regisseur nicht zum Freundeskreis esoterischer Künstler. Vor allem sind es die deutlich reifenden Protagonisten Harry, Hermine und Ron. Und wie im richtigen Leben, weil die Darsteller im richtigen Leben ja richtige Menschen in der Pubertät sind, liegt das Mädchen dank der Zauberformel Akzeleration deutlich vorn. Die Pubertät ist in der Geschichte noch nicht thematisiert, aber sie nimmt den drei jungen Menschen viel von ihrer Märchenentrücktheit, sie wirken nun verletzbarer, da sie nicht mehr vom kleinen-Kindern-geschieht-nichts-Zauber umgeben sind. Allerdings, die drei gewinnen nicht einfach mehr Präsenz, weil sie reifer werden, es ist immer ein Regisseur, der ihnen Raum schafft. Einmal, das geht so in Hogwarts, beobachten Harry und Hermine sich selbst. „So sieht meine Frisur von hinten aus?!“, fragt das Mädchen entsetzt. Da sehen wir, dass nun doch Probleme auf sie zukommen, neben denen der, dessen Name nicht genannt werden darf, ein sanftes Säuseln ist.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben: 2004
Text: veröffentlicht in filmspiegel
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