Ein ungeschriebener Film
Die junge Frau tastet sich, die Taschenlampe in der Hand, durch die Dunkelheit. Irgendwo in diesem verdammten Haus ist das Büro von diesem Kaminski und dort sind, vielleicht, die Papiere, die ihre Mutter belasten, vielleicht mit einem Mord, vielleicht mit einem Geheimnis und vielleicht mit allem. Sie steht am Ende dieses beschissenen Flures, es geht nicht weiter, es sei denn, durchs Fenster. Sie springt, sie fällt und einen Augenblick, bevor sie in diesen höllentiefen Lichtschacht stürzt, klammert sie sich an die Mauer, die wenig später brennen wird, und zieht sich hinein. Sie hat es geschafft. Nein, sie hat es nicht geschafft, denn eigentlich ist sie doch abgestürzt. Man hat es nur nicht gesehen, aber man hat es gespürt.
Dani Levy, der Regisseur und Maria Schrader, die Schauspielerin haben mit diesem Film einen großen Anspruch formuliert. Sie schrieben gemeinsam das Buch, sie spielen gemeinsam die beiden Protagonisten und gemeinsam scheitern sie. An der Maßlosigkeit des Projektes, an der Chuzpe des Anspruches. Dani Levy könnte den Film, von dem sie geträumt haben, inszenieren, Maria Schrader könnte ihn spielen. Aber irgendjemand müßte ihn schreiben.
Lena, die deutsche Jüdin in New York lernt David kennen unter merkwürdigen Umständen und begleitet von der Frage, ob ihre Mutter die Davids umgebracht hat und warum. Und diese, Ruth, als Kind aus Deutschland geflüchtet, glaubte in einem Zeitungsbericht über einen Anschlag auf eine jüdische Firma in Deutschland ihren Vater erkannt zu haben. Sie engagieren den Anwalt Kaminski, ein Mann gleichsam in den düsteren Farben Raymond Chandlers. Aber Kaminski ist nicht, was er scheint und auch sonst ist das fast niemand. Die Opfer sind die Henker, der alte, feinsinnige Jude war der Gasmeister von Treblinka und die Neonazis haben einen der ihren das Haus angezündet. Und eine Enkelin überliefert ihren seit Jahrzehnten geliebten Großvater der späten Gerechtigkeit. Die Welt, könnte man sagen, ist meschugge. Das ist interessant, aber das kann der Film nicht erzählen, nicht die Psychologie, die zwanghaft in dieser Geschichte ist. Sie überwölben die psychologisch ambitionierte Story mit der Ästhetik des amerikanischen Thrillers und verfehlen so beides, den Anspruch der Geschichte wie ihre Spannung. Der Regisseur treibt die Bilder, handwerklich beherrscht, vor sich her, jagend, hechelnd. Die Maschine dreht hochtourig, aber sie bewegt sich nicht von der Stelle, nicht wirklich. Der Regisseur als sein eigener Hauptdarsteller, Levy ist der Prototyp eines Klischees, unbewegt sich um Bedeutung mühend treibt die Chuzpe auf den Höhepunkt. Und erklärt diesen merkwürdigen Film. Es ist schon ein Problem, sich selbst zu erkennen, aber einer, der sich derart verkennt, der so rettungslos die Oberfläche für das Eigentliche zu nehmen bereit ist, hat entweder seinen Anspruch zu korrigieren oder seinen Blick.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben März 1999
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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