Zeit der Wölfe
Roland Emmerich und das Wetter für Übermorgen
Ein Schiff fährt vorbei. Es ist ein großes Schiff, ein Ozeanliner. Später werden hungrige Wölfe auf diesem Schiff Nahrung suchen und Menschen finden. Die Wölfe sind aus dem Zoo von New York entlaufen und das Schiff fährt durch Manhattan. Tief unter ihm, auf dem Grund, liegt, was einmal die 5th Avenue war. Dieser Film des deutschen Regisseurs Roland Emmerich wird dazu beitragen, ein Gerücht zu verbreiten: das, es gäbe in Hollywood politische Interessen, die Einfluss auf die Produkte nähmen. Doch ein Film wie „The Day After Tomorrow“ interessiert sich nicht für George W. Bush. Wenn ein Film über 100 Millionen Dollar kostet, dann konzentriert sich das Problembewusstsein seiner Hersteller auf die Frage der Amortisation. Doch wenn sie auch keine politischen Interessen haben, ein Feeling für den Zusammenhang von Zeitgeist und Markt haben sie schon. Nach dem 11. September war es schwierig, Terror- und Katastrophenszenarien zu entwickeln, die zum einen politisch korrekt sind und zum anderen fähig, die Wirklichkeit, also die Zwillingstürme, zu übertreffen. So bot sich das Öko-Szenario geradezu zwingend an: es besitzt eine umfassende moralische Akzeptanz und Glaubwürdigkeit, es liefert in jedem Falle den richtigen Gegner und es kommt ein wenig weg von jenem hammerharten Patriotismus, der nach dem 11. September überbeansprucht und verschlissen wurde. Roland Emmerich, bislang mit Filmen wie „Independence Day“ und „The Patriot“ als gleichsam patriotischer Hardliner profiliert, inszeniert hier gleichsam den liberalen Gegenschlag mit handwerklicher Geradlinigkeit. Doch er leidet unter dem wohl unaufhebbaren Umstand, dass der Hauptdarsteller eines Katastrophenfilmes eine Katastrophe ist. Und eine Geschichte, in der die Hauptrolle mit dem Wetter besetzt ist, hat es nun einmal schwer. Die Flut, die sich durch New York wälzt, überragt gerade noch von Lady Libertys Fackel, der Schnee, der die faszinierendtste Stadtlandschaft der Welt unter einem großen weißen Schweigen begräbt, das sind schon Bilder. Eindrücklich wohl vor allem, weil das ein prominenter Ort ist, das Symbol jauchzender Zivilisation schlechthin, und ein Ort zudem, dessen Fragilität seit dem 11. 09. auf eine mentale Bereitschaft in den Köpfen trifft, wie auch die Bereitschaft, Bedrohung durch Umwelt zu akzeptieren sehr ausgeprägt ist. Das sind zwei Umstände, die diesen Bildern zu einer Wirkung verhelfen, die größer ist als ihre innere Qualität. Emmerich, das muss man konzedieren, hat für die Maßgaben des Genres seriös gearbeitet. Wenn er seine Tricks vorgeführt hat, dann hebt er sie nicht immer wieder hoch, dann versucht er, zu erzählen. Die Story, die einen Wissenschaftler in der Auseinandersetzung mit einem ignoranten Vizepräsidenten sieht und im Kampf um seinen Sohn, den er samt Freundin und Freunden aus New York rettet, ist eher schlicht, aber niemals peinlich, als erweise Roland Emmerich dem Thema seinen Respekt. “The Day After Tomorrow“ ist nicht gut, aber er ist etwas weniger schlecht als viele andere Katastrophenfilme. Am Ende bleibt der Schnee. Autor: Henryk Goldberg Text geschrieben: 2004 Text: veröffentlicht in filmspiegel
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