Aus Heidis Heimat
Die Frau sitzt in der Bar, es ist soweit. Eigentlich war es wohl schon lang so weit, aber nun muss es sein. Es ist eine kräftige Frau und sie handelt die Dinge wie ein Mann. Sie macht die Konversation, sie aktiviert das Was-machen-Sie-Haben-Sie-Kinder-Sie trinken-ja nichts-Programm. Das Programm funktioniert, sie landen im Bett, aber er funktioniert nicht. Es ist wohl nicht ihr Programm, und so geht sie zurück, von wo sie kam, in die Leere.
Heidi M. ist, nach Überall ist es besser, wo wir nicht sind und Ostkreuz erst der dritte Spielfilm von Michael Klier. Klier, 1943 geboren, lebte bis 1961 in der DDR und es ist, als wäre seinem Film diese soziale Erfahrung zweier Welten als Atmosphäre eingeschrieben. Klier kennt, woher seine Frau kommt und kennt, wohin sie kam. Er erzählt von der Sehnsucht nach Heimat, nach Geborgenheit, doch nirgendwo verkommt die Beschreibung von Heidis Heimat zu einem ideologischen Versatzstück, nostalgisch betrauert oder eifernd verfolgt. Und er erzählt in der Tradition der guten DEFA-Filme, Kamera und, Pardon, Herz weit geöffnet für den Menschen, relativ unbekümmert um die Expressivität der Geschichte. Das Leben mancher Menschen, sagt er, ist eben einfach so, wie es eben ist und manchmal kann einer gar nichts dazu, es passiert eben einfach.
Heidi M. hat eine Tochter in Australien, einen Mann im fremden Bett, eine Vergangenheit im Osten, einen Tante-Heidi-Laden im Westen und eine Sehnsucht über beide hinweg und das ist beinahe schon die ganze Geschichte. Der Konflikt dieser Frau findet nur in ihr statt, ringsum die Männer, der alte, der, vielleicht, neue, sind Projektionen des verlorenen und des erträumten Lebens eher als tatsächliche Partner. Das ist ein kleines Problem, denn es macht den Film gleichsam träge, und es ist ein großer Vorzug, denn es ermöglicht Katrin Saß.
Heidi M. war Elektroinstallateurin in der DDR, eine anerkannte Frau, dann ging sie Bier verkaufen. Katrin Saß war ein Star in der DDR, dann ging sie tingeln. Und ungefähr das, dieses atmosphärisch-mentale in eines setzen von Figur und Schauspielerin macht diesen Film, das stiftet seine leise, stimmige Sensibilität. Der Regisseur hat das, auch visuelle, Empfinden für die atmosphärische Grundsituation, die Darstellerin für die Figur. Die Saß, eine ungemein kraftvolle Frau mit einer herben, in jeglichem Betracht überzeugenden Weiblichkeit, erzählt die Geschichte mit ihrem Gesicht. Einem Gesicht, in dem die Einsamkeit ist und die Fähigkeit, sie auszuhalten und die Sehnsucht anzukommen, irgendwo Heimat zu fühlen und Wärme. Sich anlehnen und spüren, das ist es, nur für dich. Diese Schauspielerin muss das atmosphärische Understatement nicht spielen, es umgibt sie. Ich schieße auf das k in Getränkekombinat sagt sie den Männern in der Kneipe, bisschen GST früher, na und? Katrin Saß kann mit ihrem Spiel, für einen Ost-Menschen natürlich erkennbarer, mit kleinen Gesten und Worten versunkene Verhältnisse assoziieren, sie kann den unsäglich verkommenen Satz, von den Dingen, die doch nicht alle schlecht gewesen seien, spielen, sie kann eine im Detail verschwommene Biografie als präzise Atmosphäre zeigen. Sie tanzt mit der dicken Freundin und lacht mit der schlanken (vorzüglich: Franziska Troegner und Ulrike Krummbiegel) und sie brüllt, so unmotiviert wie begreiflich ihrem weggelaufenen Mann die Warum-Frage ins Gesicht. Die dramaturgischen Warum-Fragen vermag sie nicht in jedem Falle zu beantworten, etwa, warum ausgerechnet sie ausgerechnet diese Pfeife liebte, warum sie dem Neuen (ausgezeichnet in seiner hilflosen Verletztheit Dominique Horwitz) auf sein quasi Verlobungsangebot zum Teufel schickt aber das alles ist, neben der genauen Sensibilität, nachgeordnet: Die Kraft, die dem Film fehlen mag, kompensiert seine wunderbare Hauptdarstellerin.
Am Ende bleibt eine Hoffnung für Heidi (Ost) und Franz (West) und auch das ist eine Geschichte. Wie die von Katrin Saß, die nach zehn Jahren den Platz fand, der ihr gebührt.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2001
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
Bilder: X-Verleih
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