Unwichtig und schön
Die Gewinner eines mäßigen Jahres sind die Schauspieler

Natalie Portman in „Black Swan“, das ist auch eine Studie über die Besessenheit des darstellenden Menschen. Ob auf einer Bühne oder vor einer Kamera, ohne die Darsteller geht beinahe nichts. Es mag ein Zufall sein, doch es sind eben die Schauspieler, die die diesjährigen Oscars vor dem Mittelmaß bewahren.

Was von dieser Saison des Weltkinos bleiben wird sind Namen von Schauspielern, nicht Titel von Filmen: Natalie Portman und Colin Firth. Black Swan ist ein gutklassiger Psychothriller und Darren Aronofsky konnte die Spannungselemente verbinden mit Fragen, die über die Tänzerin, die Natalie Portman glänzend spielt, in das Wesen von Kunst und Künstlertum führen.

Ebenso sicher wie der Oscar für Natalie Portman erschien der für Colin Firth. Das gilt auch dann, wenn Jeff Bridges in True Grit ein ernsthafter Anwärter war, doch da Firth bereits im vergangenen Jahr gegen Bridges verlor, musste es, bei künstlerischer Gleichrangigkeit dieses Mal wohl so laufen. Der stotternde König Georg VI. ist eine glänzende Arbeit des Schauspielers. Er erlaubt dem Stotterer einen sanften Humor und verletzt doch nie seine Würde, er inszenierte mit Geoffrey Rush als Sprachlehrer ein glänzendes Partnerspiel, wie es in dieser Qualität mehr auf der Bühne als im Kino zu erleben ist.

Das ermöglicht zu haben ist auch eine Qualität des Originaldrehbuches, das wohl auch deshalb geehrt wurde. Auch gegen die Regie von Tom Hooper ist nichts einzuwenden, diese zwei Stunden Theater in einen filmischen Rahmen zu binden, das zeigt den Regisseur.

Wenn nun allerdings The Kings Speech mit der Ehrung Bester Film als der eine herausragende Film des Jahres 2010 in die Annalen eingeschrieben wird, dann zeigt das vor allem eines: Es war ein Jahr des Mittelmaßes. Das ist konventionelles Wohlfühlkino, erstklassig gemacht, eine Nettigkeit auf sehr hohem Niveau. Mag man auch begrüßen, dass die Academy dem Schauspieler in diesem Jahr eine höhere Bedeutung zuerkennt als technischen Innovationen, so zeigt die Überhöhung dieses guten Filmes doch die Mittelmäßigkeit der Konkurrenz.

Von dieser Konkurrenz haben die Coen-Brüder die wohl heftigste Niederlage erlitten. Es scheint vollkommen in der Ordnung, dass True Grit der beiden herausragenden Regisseure nicht gewann, die zehnfache Nominierung indessen offenbart wohl auch das bereits über die Konkurrenz Gesagte. Und bedauern mag man James Franco, der 127 Hours zur Untätigkeit in einer Felsspalte verdammt, eine reife Leistung zeigte, die auszuzeichnen wiederum eine Ungerechtigkeit gegenüber Colin Firth bedeutet hätte. Noch unangemessener allerdings wäre der Oscar für Inception gewesen, der mit dem Preis für die Kamera und den übrigen genau dafür geehrt wurde, was an ihm zu ehren ist, Handwerk. Die ursprüngliche Blaupause dieses Filmes ist der erste Teil der Matrix-Trilogie, die ein wirklich innovatives Muster vorgab.

Bleibt der einzige Film, den man mit einer gewissen Zögerlichkeit als Verlierer akzeptiert, bleibt The Social Network. David Fincher (Sieben, Der seltsame Fall des Benjamin Button) erzählt die Geschichte des Facebook-Erfinders Mark Zuckerberg. Der Mann ist schon durch eine bislang ungekannte Dimension seines globalen Dorfes mit beinahe 600 Millionen Einwohnern eine Figur der Zeitgeschichte. Mark Zuckerberg hat auf den Zustand der gegenwärtigen Welt wohl mehr und nachhaltiger Einfluss genommen als irgendein derzeit amtierender europäischer Regierungschef. Und er ist ein Arschloch. Auch wenn die Anwältin sagt „Sie sind kein Arschloch, aber Sie geben sich große Mühe, eins zu sein.“

The Social Network ist im Grund der einzige dieser Filme, der die gegenwärtige wirkliche Welt abbildet. Und er erzählt, wie aus der Idee, eine Art Ranking für die Geilheit der Studentinnen auf dem Campus zu entwickeln, eine andere Idee erwächst, die die Kommunikationsstruktur der Welt verändert. Er erzählt auch, wie das Internet Milliardenumsätze aus Garagen-Ideen generiert, wenn einer nur die notwendige Kreativität besitzt. Globale Wirtschaftsführer, die Mitte Zwanzig sind, das ist gewöhnungsbedürftig. David Fincher hat das Lebensgefühl der Facebook-Generation in Form übersetzt, rasante Schnitte, jagende Dialoge. Dafür hätte man einen Regie-Oscar vergeben können.

Aber darin mag ja auch Konsequenz liegen: Die mit den wichtigsten Preisen geehrten Filme sind unwichtig und schön.


Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 01.03.2011