Ein träges Film-Musical

Die intrigante Kuh zieht den Stecker und dann geht nichts mehr. Das Playback für die Tänzerin fällt aus. Doch dann tut Ali das Unerhörte: Sie singt selbst. Live is life. Und sie kann es, denn sie ist Christina Aguiliera. Doch was sie nicht können ist, die Atmosphäre der Bühne und der Garderoben des nostalgischen Revuetheaters in das Kino zu holen.

Möglicherweise geht die Sängerin Christina Aguilera in diesem Jahr auf Tour. Ursprünglich sollte diese Tournee zu ihrem Album „Bionic“ bereits 2010 stattfinden, doch blieben die Verkaufszahlen für das Album und die Nachfrage für die Tournee weit unter den Maßstäben eines Weltstars. Und genau das sieht man diesem Film an: Den Versuch, der stagnierenden Karriere eines Stars aufzuhelfen. Doch ob die Schauspielerin der Sängerin hier geholfen hat, das darf bezweifelt werden.

Das ist eine Geschichte, die schon oft erzählt wurde: Das nette, begabte Mädchen aus der Provinz kommt mit vielen Träumen in die große Stadt und wird dort, nach Irrungen und Wirrungen, zum Star. Außerdem kommen zwei Männer vor, die mit ihr ins Bett wollen, eine intrigante Kollegin, die nicht mit ihr auf die Bühne will sowie eine Gefährdung des Theaters und seiner guten Menschen. Ali kommt aus Iowa nach Los Angeles und dort, so erklärt sie freundlich der Intrigantin, erkennen sie eine Kuh, wenn sie eine sehen. Steven Antin hingegen, der Regisseur, mag wohl auch einen Star erkennen, wenn er mit ihm arbeiten darf. Aber er weiß nicht, wie man einen Star für zwei Stunden so in Szene setzt, dass er strahlt.

Wenn man es nicht wüßte, kein Mensch verfiele auf den Gedanken, dass diese Schauspielerin tatsächlich ein Weltstar ist. Christina Aguilera muss niemandem mehr beweisen, dass sie singen und tanzen kann. Ob sie wirklich spielen kann, bleibt nach „Burlesque“ eine offene Frage. Ihr Regisseur inszeniert sie als das naiv-sympathische Landei, das ist von netter Freundlichkeit. Doch dann, wenn die Weltklasse-Sängerin ihr Eigentliches zur Geltung bringen, ihren Gesang, ihren Tanz, ihren Körper, dann weiß er wenig mit ihr anzufangen, über das hinaus, was sie ohnehin kann. Nicht einen Augenblick ist das der Glamour eines großen Stars, nicht die Magie der Bühne. Doch, einmal. Burleque war eine amerikanische Revueform im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts, die Sängerinnen haben nicht wirklich gesungen, die Striptease-Tänzerinnen sich nicht wirklich ausgezogen. Wenn Ali dann, wegem intriganten Stromausfall, live singt, dann ist da für Sekunden etwas von der Faszination, der Magie, die ein Mensch auf einer Bühne zu verströmen vermag. Das ist auch innerhalb der Story ein wichtiger, berührender Moment: Es ist der Sieg, der Durchbruch, der Triumph der Heldin. Doch der Regisseur lässt diesen Gedanken nach wenigen Augenblicken wieder fallen, er begreift es nicht oder es interessiert ihn nicht. Oder er kann es nicht.

So wie er auch die Atmosphäre dieses alten Entertainment-Etablissements nicht inszenieren kann, nicht den nostalgischen Charme verbreiten, den diese Geschichten haben, nicht den melancholischen Staub aufwirbeln, der über den Bildern liegt. Steve Antin ist eindeutig der falsche Mann für diesen Stoff, er hat kein Feeling für die Atmosphäre, und auch für den Rhythmus eines Filmes nicht. Er hat bislang Videoclips gedreht, und so inszeniert er hier: Ohne Gefühl für die Story, eine Abfolge von schnell geschnittenen Clips.

Dabei, die Story ist so träge, so bieder, so ereignislos auf zwei Stunden gedehnt, dass sie eines guten Regisseurs dringend bedurft hätte.

Aber wenigstes eine gute Schauspielerin hat sie. Es gehört zum guten Ton, sich über Cher lustig zu amüsieren, weil sie vielleicht noch Strapse tragen wird, wenn Angelina Jolie ihre Enkel trägt. Aber diese 64-jährige Frau, hier als der gute, mütterliche Geist, hat eine Präsenz, davon träumt manche, die ihre Tochter sein könnte. Wenn es einen Hauch Atmosphäre gibt in „Burlesque“, dann kommt er von Cher und Stanley Tucci.

„Du musst mir beweisen“, sagt Cher zu Christina Aguilera, „dass du auf diese Bühne gehörst“. Dieser helfende Versuch der alten Dame ist wohl gescheitert.


Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 10.01.2011

Bilder: Sony