Sie waren Neunzehn
Seinen ersten kurzen Film drehte er in einer Garage. Auch Bill Gates, der die Welt des Computers verändert hat, begann in einer Garage, auch er hatte seine erste Firma mit 19, auch er arbeitete mit einem gleichaltrigen Partner. Walt Disney, der die Welt der Unterhaltung verändert hat, konnte die Maus so wenig zeichnen wie die Ente, das waren Ub Iwerks und Carl Barks. Der Mann, der den Zeichentrickfilm revolutionierte, war ein schlechter Zeichner. Auch Bill Gates hat DOS nicht erfunden, er hatte nur ein Gefühl für das Potenzial von Dingen die andere hervor brachten. Solche Menschen benötigen Selbstvertrauen und die Fähigkeit, in einem Kreis hochqualifizierter Experten ein stimulierendes Energiezentrum zu bilden, das den Talenten eine Richtung gibt. Solche Menschen dürfen in einer Garage träumen, die Welt zu verändern, wenn sie 19 sind.
Walter Disneys zweiter Vorname war Elias, jener Prophet, der ein Zeichen des Himmels beschwor und so die zweifelnden Menschen überzeugte von der Überlegenheit seines Gottes. So fest muss einer sein im Glauben, um etwas Neues zu stiften. Wenn die USA die Welt mit Konfektion aller Art einkleiden, dann verdankt sich das auch dieser Fähigkeit zu Visionen und einem gesellschaftlichen Klima, das dem förderlich ist.
Als Walt Disney 1919 in Frankreich freiwillig als Kraftfahrer diente, früh schon Patriot, da verdiente er sich etwas Geld dazu. Er bemalte für einen Andenkenhändler ausrangierte Stahlhelme, so dass sie die vermeintlichen Spuren des Kampfes zeigten, Blut und Pulver. Mag sein, dass hier der Gedanke entstand, was ein geschickter Stift bedeuten kann für das Aussehen der Welt: Illusionen für zufriedene Kunden, Dollars für den Illusionisten. Später kehrte er das Verfahren um: Er fügte nicht Blut und Kampf, die Wirklichkeit, hinzu, er strich sie aus.
Disney Land, das ist heute das Synonym einer wirklichkeitsfremden, oberflächlichen und fraglosen Verhübschung der Welt. Niemand, der auf sich hält, will etwas hervorbringen, das dieses Verdikt provoziert. Diese redensartliche Verankerung im Sprachgebrauch beschreibt das konservative Welt-Bild Disneys. Es beschreibt aber auch die prägende Kraft dieses Mannes auf die Massenkultur für gewiss ein Jahrhundert. Und es mag kein Zufall sein, dass der Pionier der heilen Welt ein von Grund auf konservativer Mann war.
Der animierte Film gibt nicht zwanghaft eine harmonische Welt, bei Disney tat er es, aber er verfügt über die Fähigkeit, die Gesetze der dinglichen Welt aufzuheben. Der Animationsfilm kann, was das Wort besagt, die Dinge beseelen. Nicht nur die Geschichte, auch die Physik ordnet sich dem Willen des Schöpfers unter. So begann die Welt zu tanzen. Aber das benötigte einen Mann, der ihr das beizubringen verstand.
Als Walt Disney 1923 nach Hollywood ging, zunächst wieder in eine Garage, hatte er kleinere, das Überleben sichernde Erfolge hinter sich. Die Erfindung des Kaninchens Oswald erwies sich auch als ordentlicher Erfolg
bis der Verleiher, der mit den Filmen auch das Recht an der Figur erworben hatte, die Kurzfilme anderswo produzieren ließ ein Indiz auch dafür, wie wenig noch an Individualität darin lag. Der Verlust des Kaninchens, so die Legende, soll Disney im Zug auf die Maus gebracht haben, die Ub Iwerks zeichnete. Es war 1928, als Micky Maus ihren ersten öffentlichen Auftritt erlebte, sieben Minuten als „Steamboat Willi“. Es war das erste mal, dass Disney mit Ton arbeitete. Der erste Tonfilm, „The Jazzsinger“, war ein Jahr alt, andere Trickzeichner hatten bereits mit der Tonspur gearbeitet. Aber, und da offenbart sich wiederum der kreative Instinkt, er war der erste, der verstand, dass der Ton als integraler Teil des Filmes etwas anderes ist als die Begleitmusik der Orchester. Wie immer in der Filmgeschichte jene zu Innovatoren wurden, die die künstlerischen Möglichkeiten einer technischen Neuerung erkannten. Ohne diese Fähigkeit wäre die Micky Maus womöglich nicht dieses weltweite Markenzeichen geworden, dass viel später noch in den Schulen der DDR als subversive Konterbande galt. Die Möglichkeiten der Musik erkundete er auch in den schrägen „Silly Symphonies“, in denen er etwa zu Sain-Saens Skelette tanzen ließ. Doch die Maus, der Disney nicht nur seine Stimme gab, sondern auch seine Seele, wurde braver und langweiliger. So entstand 1934 Donald Duck und begründete eine eigene, fortwirkende Welt, der auch ernsthafte Menschen anhängen. Den Erfolg der schrägen Ente gegen die brave Maus hat Disney wohl mit geteiltem Herzen gesehen, gewiss entsprach der Looser Donald auch eher dem Zeitgeist als dem Sieger Micky.
Als Disney 1937 mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ eine Zäsur in der Filmgeschichte markierte, war er wiederum nicht der erste, der einen längeren Animationsfilm produzierte und wiederum der erste, der begriff, wie man diese Möglichkeit nutzen musste. Und als 1930 die Produktion der Comic Strips für Zeitungen begann, da setzte er, obschon er Zelluloid mehr liebte als Papier, seine besten Leute an diese Arbeit. Der Erfolg dieses Engagements wirkt bis heute, denn das Disney-Universum fand seine eigentliche Verbreitung in den Comics. Und 1955 kreierte er das erste Disney Land, eine damals wahnwitzig scheinende Vision.
Seine Spezialisten waren auf ihren jeweiligen Feldern ungleich besser als er. Aber er hatte den Instinkt für das wirklich Neue, er gab die kreative Energie, die all die Talente animierte. Sie arbeiten noch heute im Gedenken an den 1966 gestorbenen Patriarchen im zweitgrößten Medienkonzern der Welt. Gewiss, Juden, Schwule und Kommunisten zählten nicht zu seinen Freunden, die denunzierenden Aussagen vor dem McCarthy-Ausschuss nicht zu seinen Ruhmestaten. Doch, so geht es mit allen Großen in der historischen Distanz, charakterliche Schwächen teilen sie mit vielen Menschen. Bleiben wird, was ihnen allein angehört. Walt Disney wird bleiben als der Visionär, der das kulturelle Antlitz einer Epoche prägte.
Text: Henryk Goldberg
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