Die Pferde-Oper
Petersen lässt vor „Troja“ die Helden bluten, doch er missachtet die Götter
„Ist das wirklich alles!?“ ruft Achilles übers Feld, nachdem er einen üblen Kerl geschlachtet hat. Ja, das ist wirklich alles: Männer schlachten Männer. Und weil sie dafür eine Gegend brauchen und einen Grund, ist da noch Troja. Es ist sehr groß, aber wichtig ist es nicht.
Es ist ungefähr so wichtig wie dieses Pferd. Das ist ziemlich groß und wenn es sich bestimmungsgemäß öffnet, hier eine Klappe, dort ein Strick, und die Schlächter aus seinem Inneren quellen, um die Stadt zu schänden, dann wirkt dieses große Pferd ein wenig wie die Kulisse einer Oper, der fliegende Holländer, wenn sie oben vom Steuermann singen. Und so sind alle, beinahe alle, Zitate dieser Geschichte: Sie haben die Form und die Namen, den Geist und die Erhabenheit nicht.
Niemand weiß, ob es Homer und diesen Krieg tatsächlich je gegeben hat. Das ist aber für den Einfluss dieser Geschichten gleichgültig. Wer auch immer ihr Autor war, oder ihre Autoren, sie haben die europäische Kultur geprägt die Jahrhunderte hindurch. Die bildende Kunst hat sich in beträchtlichem Umfang aus diesen unerschöpflichen Reservoire an Motiven bedient, die hellenistischen Sujets stehen wohl gleichrangig neben den christlichen, zumal die Welt, in der das Christentum entstand in einer hellenistischen Tradition stand, wie auch das Griechische die Lingua franka der gebildeten Stände war. Und neben einer kulturellen Elite, zu deren selbstverständlichem Bildungsprogramm das stets gehört, hat Gustav Schwab die Wahrnehmung der griechischen Sagenwelt in der Breite geprägt. Ob dieser Bildungszusammenhang allerdings bei den letzten Generationen noch vorausgesetzt werden kann, das darf bezweifelt werden. In deren Bildungszusammenhängen kommt wohl eher Brad Pitt vor.
Und genau so ist dieser Film. Wolfgang Petersen hatte zweihundert Millionen Dollar zu Verfügung und einen Weltstar, das verpflichtet. Die Geschichte sei, so sagt der Abspann, inspiriert von Homer und seiner Ilias, indessen, die Geschichte, so wie Petersen sie erzählt, scheint merkwürdig uninspiriert. Es ist die Geschichte, es sind ihre Helden, Achill, Hektor, Priamus, Agamemnon (der hier einen Tod stirbt, der die Hälfte der Orestie vernichten würde), Patroklus, ganz am Rande sogar Äneas. Und sie wirken so unlebendig, als wären sie animierte Fresken. Nur Kassandra kommt nicht vor, und das hat einen Grund. Denn die Seherin spricht von dem, was man nicht sieht, nur fühlt, was man nicht anfassen kann, nur spüren. Und davon weiß dieser Film nichts.
„Wieviel Bataillone befehligt unser Sonnengott?“ fragt Hektor einmal ironisch, eine Paraphrase auf ein Wort Stalins. Und so wie dieser die Bedeutung der Kirche unterschätzte, so unterschätzt Petersen, wenn er sich so durch Hektor ausspricht, die Macht und den Sinn der Götter. Die kommen nicht vor hier, und sie sind doch, in der ursprünglichen Geschichte, Kombattanten beider Seiten. Einen Kurzauftritt hat Achilles überirdische Mutter Thetis, und sie spricht von dem einzigen Gedanken hinter der Geschichte, der Unsterblichkeit. Gewiss wäre es ein ästhetisches Problem, Athene hier und Apollon da zu zeigen und Zeus über allen. Aber mit den Göttern geht der Geschichte ihr Grund verloren, ihr tieferer Zusammenhang. Natürlich geht es nicht darum, dass ein Unterhaltungsfilm einen Sinn haben muss, aber es verhält sich wohl wie mit den Konzeptionen im Theater: für die meisten Zuschauer stellen sie sich am Ende gar nicht dar, dennoch werden sie von den Schauspielern benötigt: der inneren Spannung wegen, damit sie wissen, was sie spielen sollen. So geht es diesen Film ein wenig so, wie es all den Die-Bibel-als-Roman-Versuchen geht: ohne die spirituell-mythische Aufladung des Originals sind sie überwiegend langweilig.
„Der Gladiator“, dessen Spuren im Sand Troja folgt, war der eindeutig bessere Film. Wenn es Ridley Scott gelang, sein schönes Kolosseum im Hintergrund zu halten, so steht das schöne Troja sehr im Vordergrund. Wenn die Griechen landen ist es ein wenig wie am Omaha Beach und Brad Pitt als blonder Killer ist schon sehenswert, nicht nur, weil er offenkundig trainiert hat, Technik und Muskeln. Er hat so einen, gut gespielten, brutalen Zug um den Mund Achill, das Schwein nennt ihn Christa Wolfs Kassandra , ein nicht recht erzogenes, exzentrisches aber furchtbar starkes Kind, ein wenig traurig über seine Zerstörungssucht. Sehr gut sein Kampf mit Hektor: ein genialer, lässiger Lust-Kämpfer mit asiatischer Sprungtechnik der eine, ein redlich kämpfender Biedermann der andere. Die Deutsche Diane Kruger ist Helena. Und wegen der fiel Troja? Das ist, in der Tat, tragisch.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben: 2004
Text: veröffentlicht in filmspiegel
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7. Januar 2013 um 15:21 Uhr
naja
7. Januar 2013 um 15:22 Uhr
schlecht