Der unsagbare Rest, der den Menschen macht
Tim Robbins schlichter Film über das gesellschaftliche Recht, zu töten
Keith Daniel Williams wurde durch eine Injektion hingerichtet. Er hatte, vor 18 Jahren, zwei Männer und eine Frau ermordet, die er vor ihrem Tod vergewaltigte. Das war am letzten Freitag, wir haben es gelesen. Matthew Poncelet wurde durch eine Injektion hingerichtet. Er hatte, vor 6 Jahren, einen Mann und eine Frau ermordet, die er vor ihren Tod vergewaltigte. Das war dieser Tage, wir haben es gesehen.
Es war kein guter Tag für die Academie of Motion Pictures, als sie Mel Gibson über Tim Robbins erhob und Braveheart über Dead Man Walking. Der Oscar für Susan Sarandon würdigte eine schauspielerische Arbeit, aber hier wäre wesentlicheres zu würdigen gewesen: Die Fähigkeit Hollywoods, hin und wieder um einer Haltung willen auf eine spektakuläre Geschichte zu verzichten. Helen Prejean, die Ordensschwester, die ihren Glauben in sich trägt und nicht um die Schulter, betritt das Gefängnis. Die Sicherheitsschleuse gibt einen Warnton, das Kreuz, das die Schwester auf der Brust trägt, alarmiert das System. „Sie werden hier nichts Romantisches finden“ sagt jemand zu ihr – und es ist, wie zu uns gesagt. Dabei, sie hätten es einfacher haben können, romantischer. Doch um den großen, sentimentalen Film zu bekommen, hätten sie ihr Thema verraten müssen. Die Todesstrafe ließe sich, viel einfacher, viel spektakulärer, geißeln gelegentlich eines Justizirrtums. Wir hätten am Ende womöglich Tränen in den Augen gehabt, so haben wir eine Frage im Kopf. Wir weinen nicht um diesen Mann, denn die Frage ist nicht, ob man Unschuldige hinrichten solle, sondern Mörder. So sehen wir einen wirklichen Mörder, einen Rassisten, einen Mann, der ohne Zweifel schuldig ist. Wir sehen ihn sterben und wissen nicht genau, was wir davon halten. Auch Tim Robbins weiß es nicht und noch nicht einmal Susan Sarandon.
Matthew Poncelet, der zweifache Mörder, macht sich Gedanken über seine Hinrichtung. „Vor mir lag ein Nigger auf der Bahre, ich hoffe, die machen vorher sauber“. „Ich muß verrückt sein“, sagt die Schwester später, „was soll ich mit dem?“ Und wird wieder hingehen zu dem toten Mann, wieder und wieder, und wenn er seinen letzten Gang geht, wird sie die Hand auf seine Schultern legen und wenn der Injektionsmechanismus zu arbeiten beginnt, wird sie durch die Glasscheibe lautlos den letzten Satz formen, den der Mörder erfährt in seinem Leben: „I love you.“
Und vorher hat uns Tim Robbins die Opfer gezeigt, die Eltern des Mädchens mit der aufgerissenen Vagina. Er zeigt uns den sachlichen Mechanismus des staatlichen Tötens, er zeigt uns den Sergeant vom Fixierungsteam, dessen Job ist das linke Bein des Delinquenten. Und er zeigt uns Susan Sarandon und Sean Penn, zwei wunderbare Schauspieler, das künstlerische Zentrum, zurückgenommen in ihrer Ausdrucksfähigkeit, von minimalistischer Schlichtheit, von unspektakulärer Redlichkeit wie der ganze Film – und damit, wie dieser, in Augenhöhe mit ihren Figuren, ihrem Sujet. Gewiß, der Vorzug des Filmes, seine Ausgewogenheit, ist ein wenig auch sein Problem: Denn diese Ausgewogenheit, diese einerseits-andererseits-Balance stiftet kaum die großen Emotionen. Dennoch, ein guter, ein wichtiger, ein redlicher Film. Weil er in seiner Unentschiedenheit dafür steht, daß im Töten, als brutaler Mord oder als staatliche Strafe, zwanghaft ein unaufgelöster Rest bleibt, ein Rest, der den Menschen ausmacht, ein Empfinden jenseits des Sagbaren.
Dead Man Walking – und wir schauen ihm zu dabei und wissen nicht, wie es uns geht.
Autor: Henryk Goldberg
Text: veröffentlicht in filmspiegel
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