Wittgenstein trifft E.T.
Science-Fiction-Filme über außerirdische Besucher gibt es fast so lange, wie das Genre selbst. Dabei sind die extraterrestrischen Gäste jedoch nur selten so knuffig wie in „E.T.“: Von dem auf H.G. Wells basierenden „Kampf der Welten“ (1953), über „Mars Attacks!“ (1996) bis hin zum digitalen Bombast von „Independence Day: Wiederkehr“ (2016), ist min den meisten dieser Filme mit den Fremdlingen aus dem All keineswegs zu spaßen.
Dabei verbindet die optimistischen Visionen (wie „E.T.“) mit den Horrorszenarien im Stil von „Independence Day“ die stark vereinfachende Annahme, dass sich eine mögliche Begegnung mit außerirdischen Lebensformen auf die einfache Frage reduziert, mit welcher Absicht jene auf unseren Planeten gekommen sind. Doch bevor wir mit möglichen Besuchern aus dem All über konkrete Absichten miteinander sprechen können, muss mit diesen zunächst einmal irgendeine Art der Kommunikation erfolgen. Denis Villeneuves Film „Arrival“ nimmt diesen Sachverhalt erstaunlich ernst:
Der Film beginnt damit, dass an zwölf verschiedenen Punkten auf der Erde gewaltige monolithische Raumschiffe gelandet sind. Genauer gesagt schweben diese seltsamen muschelförmigen und mit einer abweisenden porösen grauen Oberfläche versehenen Gebilde knapp über der Oberfläche auf der Stelle. Doch was wollen sie hier? Die mysteriösen extraterrestrischen Objekte verharren an ihren jeweiligen Orten, ohne dass es zu irgendeiner Form der Kontaktaufnahme kommt. Eines der geheimnisvollen Raumschiffe schwebt, vom US-Militär beobachtet, über einer Wiese in Montana.
Dort holt der zuständige Colonel Weber (Forest Whitaker) die Linguistin Dr. Louise Banks (Amy Adams) und den Physiker Dr. Ian Donnelly (Jeremy Renner) zur Hilfe bei dem Versuch, die Absicht der enigmatischen Besucher zu entschlüsseln. Bei den Aliens handelt es sich um zwei riesige tintenfischähnliche Wesen, die auf eine vollkommen andere Weise, als die Menschen kommunizieren. Nur unter großen Mühen machen die Versuche der Kommunikation mit den Außerirdischen langsame Fortschritte. Währenddessen werden die US-Militärs immer ungeduldiger, da sie von der eigenen Regierung und von den noch wesentlich nervöseren Regierungen in China und Russland unter Druck gesetzt werden.
Bereits anhand der Gestaltung der Raumschiffe und der Aliens zeigt sich, dass Denis Villeneuve das Thema einer Begegnung der dritten Art auf eine wesentlich grundlegendere Weise angeht, als dies in bisherigen Hollywoodfilmen der Fall war. Denn insbesondere bei beliebten Space-Operas wie „Star Wars“ oder „Star Trek“ sind sowohl die Außerirdischen als auch deren Technik unschwer als denkbare Varianten des uns Bekannten erkennbar:
Die außerirdischen Raumschiffe in diesen Filmen sind zwar hochmodern, aber nicht wirklich grundverschieden von den tatsächlich bereits von Menschenhand erbauten Raumfahrzeugen. Auch die Kommunikation mit den Aliens ist selten schwieriger, als die mit einem bisher unbekannten Eingeborenenstamm, deren Sprache man erst erlernen muss. Und wenn die E.T.’s tatsächlich einmal auf eine gravierend andere Weise, als wir untereinander kommunizieren sollten, dann sind sie für gewöhnlich so freundlich, dass sie, wie in Robert Zemeckis „Contact“ (1997), die Übersetzung für uns gleich mit erledigen.
Dahingegen erscheinen die Raumschiffe in „Arrival“ wie die Manifestation eines quasi metaphysischen fundamental Anderem an sich. Falls sie einen filmischen Vorgänger besitzen sollten, dann handelt es sich dabei um kein Raumschiff, sondern um den schwarzen Monolithen in Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968). Ähnlich wie jenes abweisende mystische Gebilde verweigern sich diese außerirdischen Flugkörper zunächst jeder rationalen Ergründung. Der Übergang ins Innere dieser Körper ist konsequenterweise verbunden mit einem Übergang hin zu gänzlich anderen Verhältnissen der Gravitation. Auch die Kommunikationstechnik der gewaltigen Krakenwesen entzieht sich zunächst jedem Verständnis. Sowohl die Linguistin als auch der Physiker stoßen bei dieser Begegnung der dritten Art sehr deutlich an die Grenzen des ihnen Bekannten.
Das Besondere an dieser Kontaktaufnahme ist, dass diese nicht nur eine kurze spannungssteigernde Episode im Film darstellt, nach der wieder zur allgemeinen Tagesordnung – greifen sie an oder nicht? – übergegangen wird, sondern dass stattdessen der Sprache der Aliens in „Arrival“ eine ungewöhnlich zentrale Rolle zukommt. Wenn man das berühmte Zitat des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, wirklich verinnerlicht hat, dann ist deutlich, dass der Sprache eine Welten bildende Funktion zukommt, die sämtliche möglichen technischen Errungenschaften bei Weitem übersteigt.
„Arrival“ handelt somit nur vordergründig von der Ankunft extraterrestrischer Tentakelmonster. In Wahrheit geht es in dem sehr smarten Sci-Fi-Film um die Übermittlung einer gänzlich fremden Sprache – und mit dieser um die Kommunikation einer revolutionären neuen Weltsicht. Dass es Denis Villeneuves fertigbringt, diese eher schwere Kost im Gewand eines emotionalen Blockbusters daherkommen zu lassen, ist schon ein starkes Stück. Dies macht Hoffnung darauf, dass der Kanadier auch mit seinem für 2017 geplanten zweiten Science-Fiction-Film ein weiteres Mal ein kleines Wunder vollbringen wird. Ein solches Wunder ist auch dringend notwendig, da es sich bei diesem Projekt um die Fortsetzung des legendären Sci-Fi-Klassikers „Blade Runner“ handelt.
Gregor Torinus
Bilder: © Sony Pictures Germany
Arrival, von Denis Villeneuve (USA 2016)
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