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Lynch trifft auf Lovecraft

Manch einer sagt: „Es gibt nur eine begrenzte Zahl an Geschichten, die nur neu erzählt werden können.“ Doch es gibt sie: die wirklich überraschenden Filme, die sich weder leicht deuten, noch klar einordnen lassen. Sie sind es, die das Medium Film zu einer Kunstform machen. Der Mysterythriller „Enemy“ des Kanadiers Denis Villeneuve ist solch ein Film.

Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) ist ein permanent missmutiger Misanthrop, dessen tristes Leben sich in Routinen erschöpft: An der Uni unterrichten, im sterilen Hochhausapartment Arbeiten korrigieren, schneller Sex mit seiner Geliebten (Mélanie Laurent), schlafen. Als Adam sich eine DVD mit einem Film ausleiht, den ein Kollege ihm empfohlen hat, erwacht er mit einem Schlag aus seiner Lethargie. In einer kleinen Nebenrolle ist ein Darsteller zu sehen, der ein perfekter Doppelgänger von ihm ist. Adam spürt diesen Schauspieler Anthony (ebenfalls Jake Gyllenhaal) auf und dringt einem Stalker gleich in sein Leben ein. Schließlich treffen sich die beiden Männer zu einem Gespräch, in dessen Verlauf Anthony Adam einen schockierenden Plan präsentiert…

Dem Film vorangestellt ist die Behauptung, dass sich hinter jedem Chaos eine Ordnung verberge, die es lediglich zu entziffern gilt. Der folgende Film bleibt jedoch den Nachweis schuldig, ob dem tatsächlich so ist. Dafür verdeutlicht „Enemy“ unser Bestreben das uns umgebende Chaos ordnen zu wollen und dort einen tieferen Sinn zu suchen. So dient der Film dem Zuschauer als ein Spiegel, so wie auch der im Film im Film erstmals auftauchende Doppelgänger von Adam ein Spiegelbild seiner selbst ist. „Enemy“ treibt ein nuanciertes Spiel mit den Parallelen und den Unterschieden im Leben von Adam und Anthony. Der eine ist ein weltferner und lebensuntüchtiger Intellektueller, der andere ein vitaler Lebemann. Adam ist zaghaft und depressiv, Anthony ist arrogant und aggressiv. Doch beide wohnen in ähnlichen schick-sterilen Hochhauswohnungen und fühlen sich zum gleichen Frauentyp hingezogen. Hierbei ist Adams Freundin jedoch eher spröde, während Anthonys schwangere Ehefrau schlichter und zugleich sinnlicher ist. Diese Unterschiede spiegeln die charakterlichen Unterschiede ihrer Partner, die ansonsten sowohl von ihrem Aussehen, als auch von ihrer Stimme her absolut identisch sind.

Denis Villeneue und sein Kameramann Nicolas Bolduc zeigen in „Enemy“ die Stadt Toronto als einen weiteren Charakter des Films. Der kanadische Moloch ist ungemein kalt und steril. Millionen von Menschen leben hier auf engsten Raum und doch voneinander getrennt. Dazu ist der gesamte Film stark farbentsättigt und in einen Sepiaton getaucht, der unterstreicht, dass das gezeigte Geschehen wie nicht ganz von dieser Welt wirkt. Der einzige urbane Akzent besteht darin, dass Anthony in unmittelbarer Nähe zu den organisch in sich verdrehten Absolute Towers wohnt. Doch diese so spektakuläre, wie glatte Architektur betont lediglich, dass dieser Vorort von Toronto mit seinen gewaltigen abweisenden Wohnsilos ein unwirtlicher Nicht-Ort ist. Dieses Toronto wirkt wie ein gigantischer Ameisenbau, dessen Bewohner rein mechanisch funktionieren und zum Erhalt dieses System beitragen. Bezeichnenderweise redet Adam in einer der ersten Filmszenen in einer Vorlesung über die verschiedenen Formen, die Staaten nutzen, um ihre Bürger zu kontrollieren. Die Maßnahmen reichen von offensichtlicher Gedankenkontrolle in autoritären Regimes bis hin zu stumpfer Unterhaltung im Geiste der altem römischen Maxime „Brot und Spiele“. Dieser Einstig wirft sofort die Frage auf, ob nicht auch die im Film gezeigte Gesellschaft ähnlich kontrolliert und unfrei ist.

In die anfänglich gezeigte stupide Eintönigkeit von Adams Leben bricht im Verlaufe der Handlung immer mehr ein namenloses existenzielles Grauen ein. Bizarre Spinnen, die nicht nur Adams Träume zu bevölkern scheinen, beschwören Jungsche Archetypen. Adams Doppelgänger erscheint als das absurde Andere und ist zutiefst kafkaesk. Anthonys Da-Sein verwandelt die monotone Metropole in einen Ort wie von einem anderen Stern. Kommt dieser unheimliche Doppelgänger vielleicht tatsächlich aus dem All? Existiert er nur in Adams Einbildung? Oder ist in Wirklichkeit gar Adam ein Produkt von Anthonys Fantasie? Lynch trifft auf Lovecraft. Jeder Versuch einer Dechiffrierung versagt. Das Chaos verweigert jede Sinnhaftigkeit. Das Geheimnis bleibt bestehen. Der Film „Enemy“ ist selbst ein Doppelgänger, eine Adaption des Romans „Der Doppelgänger“ von José Saramago. Doch dieser filmische Doppelgänger ist ganz anders als seine literarische Vorlage. Ist eine Mutation. Ist Chaos. Ist der Feind.

Gregor Torinus

Enemy, von Denis Villeneuve (Kanada / Spanien 2013)

Bilder: © Capelight Pictures