DIE FEUERZANGENBOWLE, am 28. Februar 1944 in Berlin uraufgeführt, wurde zum Lieblingsfilm mehrerer Generationen
Der Krieg war verloren, die Städte lagen in Trümmern, die materielle und moralische Katastrophe war offenkundig, als ein Film entstand, der noch heute als kleines Meisterwerk zeitlos heiteren Eskapismus‘ gilt, des idealen, unschuldigen kleinen Deutschen Heinz Rühmann „liebstes Werk“ und ein Amüsement noch für die Generation des Wirtschaftswunders und darüber hinaus. Schon die Vorlage, Heinrich Spoerls Roman „Die Feuerzangenbowle“, gehört zu den mehr oder weniger unsterblichen Werken der deutschen Unterhaltungsliteratur. Er führt an einen Lieblingsort der deutschen Seele, in die Schule, wo man gebildet und zerstört wird, die schönsten und die verzweifeltsten Jahres des Lebens verbringt, und es schildert sie als einen Ort des freundlichen, nostalgischen Wahns. Aber diese Vorlage erklärt keineswegs den anhaltenden Erfolg des Filmes. Heinz Rühmann hatte die Rolle des Schriftstellers, der seine Schulzeit an einem deutschen Kleinstadtgymnasium nachholt, schon einmal, 1934, in einer nur mäßig erfolgreichen Version von Robert A. Stemmle unter dem Titel SO EIN FLEGEL gespielt, und eine bundesrepublikanische Neuverfilmung erwies sich als künstlerische und ökonomische Katastrophe.
Helmut Weiß‘ DIE FEUERZANGENBOWLE aus dem Jahr 1944 bleibt das unübertreffliche Original eines deutschen Kultfilms. Und wie es bei Kultfilmen so der Fall zu sein pflegt, kam er weniger durch eine enorme ästhetische Anstrengung zustande, als vielmehr durch eine scheinbar zufällige Verdichtung des Zeitgeistes. Nicht von ungefähr stammt der Film von einem Regisseur, dessen großes Verdienst es wohl war, den Schauspielern nicht im Weg zu stehen, und der ansonsten nur belanglosen Unfug drehte.
Es geht um den jungen Schriftsteller Johannes Pfeiffer, der von einem privaten Lehrer erzogen wurde und daher die Freuden des Schülerlebens nie aus eigener Anschauung kennenlernte. „Der arme Pfeiffer“, sagen die älteren Herren bei einer Feuerzangenbowle, bei der man gerührt und amüsiert Erinnerungen an Schülerstreiche austauscht, „er hat den besten Teil seiner Jugend verpasst.“ So fasst man den Entschluss, ihn als Pennäler in die Oberprima eines Kleinstadtgymnasiums einzuschleusen. Hier darf er in steter Auseinandersetzung mit kauzig-komischen Lehrern seinen Nachholbedarf an Streichen, an Pennälervergnügungen und an komischen Imitationen befriedigen. Der unzeitgemäße Klassenclown bekommt am Ende, zur Belohnung für die Rückkehr in die Wirklichkeit, noch die Tochter des Direktors zur Braut.
Das seltsame Glück dieses Films steckt in der vollständigen Rückkehr des Helden in eine unschuldige Kindheit. Stellvertretend für sein Publikum unternimmt er den Rückzug aus der Wirklichkeit, indem er noch einmal jenen magischen Ort aufsucht, an dem alles noch einmal beginnen und sich vielleicht ganz anders entwickeln könnte. Die Lehrer der FEUERZANGENBOWLE sind unheldische, von altmodischer Väterlichkeit bestimmte Vertreter einer vom Nationalsozialismus nicht infizierten Generation. Das Thema des Filmes ist nicht, wie das späterer Pennäler-Filme, die„ Modernisierung“ der Schule, sondern gerade das Vergnügen an ihrer Altmodischkeit. Aber diese ist zugleich einem umfassenden Spott ausgesetzt: die Lehrer dieses Gymnasiums sind nicht nur die Männer, die nicht im Krieg sind (weil sie zu alt, zu unmilitärisch, untauglich für das Leben „draußen“), sondern auch Vertreter eines Humanismus, den die Nazis als „Duselei“ attackierten, eines Bildungsideals, das mit dem technologisch-ideologischen Utilitarismus des Nationalsozialismus nicht zu vereinbaren war und auch in der Zeit des Wirtschaftswunders nicht wieder errichtet wurde. Der Pennäler, der seine Jugend nachholt, greift also Autoritäten an, die keine sind, er stellt Dinge an, die spektakulär und „anti-autoritär“ erscheinen, sich aber im nachhinein als harmlos erweisen und die, vor allem, nicht bestraft werden.
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„En Dampfmaschin, dat is ene jroße, schwarze Raum,
der hat hinten und vorn e Loch, dat eine Loch,
dat ist de Feuerung. Und dat annere Loch, dat krieje mer später.”
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So entsteht ein geradezu perfektes System der Ambivalenz, ein Spiel mit dem Sowohl-als-auch. Die komischen Lehrer des Kleinstadtgymnasiums werden zugleich verspottet und geliebt. Sie sind Vertreter einer verlorenen Individualität; jeder zelebriert seine gestischen, logischen und vor allem sprachlichen Macken mit einer Reinheit, die sozusagen bereits die vorweggenommene Parodie ist. Das „Sätzen Se säch“ des „Schnauz“ weist ebenso auf verbale Prätention wie auf eine verlorene Kraft der Sprachschöpfung: die Institution, in der die „richtige“ Sprache erlernt werden soll, ist selbst ein sprachliches Durcheinander. Oder, anders herum, die Sprechticks der komischen Lehrer sind immer kurz davor, in so etwas wie konkrete Poesie umzukippen; man kann die FEUERZANGENBOWLE so gut mit Arno Schmidt wie mit Ernst Jandl lesen. Auch Brömmels berühmte physikalische Erklärung ist in sich sehr ambivalent: „Wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns janz dumm. Und da sage mer so: En Dampfmaschin, dat is ene jroße, schwarze Raum, der hat hinten und vorn e Loch, dat eine Loch, dat ist de Feuerung. Und dat annere Loch, dat krieje mer später.“ Einmal abgesehen von der sozusagen abstrakten Obszönität und der Pointe der aufgeschobenen Information, weist diese Passage gerade durch die technische Unbeholfenheit noch einmal auf die altmodische Unwirklichkeit dieser Schule. Der formalistische Witz und die Manie der Sprache („Pfeiffer mit drei f – eines vor und zwei hinter dem ei“) scheinen selbst einer Taktik poetisch-infantiler Entwirklichung zu entsprechen.
In der FEUERZANGENBOWLE kehren jene bürgerlichen, zivilen Väter zurück, die der Nationalsozialismus vertrieben, ersetzt oder verwandelt hatte, und in der scheinbar so rebellischen, manchmal gar ein wenig sadistischen Geste des um seine Jugend betrogenen Sohnes Rühmann steckt, viel tiefer, auch der Wunsch nach Versöhnung. Sie wird recht „mythisch“ am Ende besiegelt durch die Heirat des Helden mit der Tochter des Direktors, der nicht zufällig „Zeus“ genannt wird und genau wie der „Göttervater“ aussieht. Aber auch in der Liebesgeschichte des Films zeigt sich seine Ambivalenz; der Unterprimanerin Eva, so blond, so ernsthaft, so dem Ideal der Zeit entsprechend, steht Pfeiffers Verlobte Marion gegenüber, großstädtisch und selbstbewusst, eine Karikatur der „neuen“ Frau, die droht, Pfeiffers kontrollierten Rückfall in die Jugend auffliegen zu lassen. Sie ist die einzig wirklich „böse“ Gestalt des Films.
DIE FEUERZANGENBOWLE gehört zu jenen schizophrenen Filmen aus der Spätzeit des Nationalsozialismus, die zugleich dem Regime dienen und über sein Ende hinausblicken wollen, die voller offener oder unterschwelliger Nazi-Ideologeme sind, und zugleich von einer Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung zeugen, die sozusagen schon mit der Verdrängung der Schuld beginnt, während sie noch geschieht.
Zunächst bestand die Gefahr, dass der Film wegen der Verächtlichmachung des Lehrerstands vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rust verboten würde, schließlich sei es ohnehin schon schwer genug, noch Männer für den Schuldienst zu finden. Heinz Rühmann, so eine der dramatischeren Erzählungen unserer Filmgeschichte, nahm eine Rolle des Films unter den Arm und sprach selbst im „Führerhauptquartier“ vor, um ein Verbot zu verhindern. Hermann Göring schließlich sorgte für die Freigabe. Und dabei begegnete der Schauspieler zum zweiten Mal in seinem Leben dem „Führer“; ein müder, kranker Mann sei das damals schon gewesen, der da mit dem Schäferhund im innersten Kreis des innersten Kreises seiner einsamen Wege ging. Endzeit und Entertainment.
Merkwürdigerweise schwindet beim Ansehen des Filmes jene kritische Distanz denn doch immer wieder, die uns bei anderen scheinbar unpolitischen Filmen der Nazizeit leichter fällt. Das liegt zum einen wohl an der ungeheuren Präsenz des Hauptdarstellers, dem sein enger Freund Heinrich Spoerl das Drehbuch „auf den Leib“ schrieb; der kollektive Traum von der Rückkehr in die Kindheit ist ganz direkt auch der Traum des Heinz Rühmann. Die nach wie vor bezaubernden komischen Miniaturen der kongenialen Darsteller der Lehrer, Erich Ponto, Paul Henckels, Hans Leibelt, zeugen nicht weniger von ihrem Bemühen, in ihrem Traum zu verschwinden. Bis in die Montageprinzipien hinein, bis in die Kostüme und Bauten vermittelt der Film das Glück einer emotionalen Rückwärtsbewegung, eines erlösten Verschwindens. Die Authentizität des Films besteht darin, daß seine Flucht vor der Realität ganz und gar echt ist. Er vermittelt eine Strategie des Vergessens, der sich niemand vollständig entziehen kann; sie entfernt von der historischen Wirklichkeit ebenso wie von den wirklichen Erfahrungen der Institution Schule, wie von dem Ärger, den wir heute morgen im Büro hatten. Und er erzählt nicht im Irrealis eines „Lümmel“-Filmes, sondern, ein wenig, im poetischen Irrealis einer „Alice hinter den Spiegeln“.
Am Ende des Films erweist sich die ganze Geschichte als bloße Erfindung des Schriftstellers Pfeiffer; in seiner letzten Wendung nimmt der Film also noch einmal seine bescheidenen Versprechungen zurück. Und der Held spricht noch von den „Träumen“, mit denen wir uns zu „bescheiden“ hätten, bevor er uns in die Schizophrenie der Welt entlässt, die nur in ihren Fiktionen zu ertragen ist. DIE FEUERZANGENBOWLE ist weder ein „guter“ noch ein „böser“ Film, er ist, leider, auch kein unschuldiger.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd film 3/94
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