Georg Seeßlen, Markus Metz: Vom Alpha & Omega der digitalen Restauration des filmischen Zukunftsbildes
Ein klobiges, nicht gerade herausgeputztes Bürohaus am Münchner Stadtrand. Draußen scheint die pittoreske Ödnis auf die Kamera eines Wim Wenders oder David Lynch zu warten. Drinnen haben Sonnenlicht und Außenwelt ohnehin nichts zu suchen. Hier, bei der Firma Alpha & Omega werden Filme restauriert. Genauer gesagt treffen sich hier Filmwissenschaft, Programmierkunst, der Umgang mit Chemikalien, die für Chemiebaukästen nicht geeignet sind, und eine Riesenportion Enthusiasmus zur Arbeit der digitalen Filmrestaurierung.
Für jeden Cineasten gibt es Orte und Situationen, bei denen einem ein mehr oder weniger heiliger Schauer den Rücken hinunterläuft. Uns hat es hier erwischt: Beim ersten Ansehen eines digital restaurierten Teiles von Fritz Langs gewaltigem Stummfilm „Metropolis“. Eines Teils, den wir noch nie gesehen haben.
Dieser „Metropolis“ aus dem Jahr 1926 ist ein merkwürdiger Film, so wie man ihn kennt, nämlich als Fragment, dem eine gute halbe Stunde fehlt. Er ist visuell überwältigend, ohne ihn wäre die weitere Geschichte des Kinos im allgemeinen und der Science Fiction im besonderen nicht vorstellbar. Aber die Handlung, eine Mischung aus Kolportage und Ideologie offenbar, berührt nur wenig. Fritz Lang, haben wir gedacht, brauchte wohl den Ton, brauchte möglicherweise auch die Trennung von der Drehbuchautorin Thea von Harbou, um menschlicher und psychologisch genauer zu werden. Jetzt sieht die Sache ein wenig anders aus.
Zwischen dem Eintauchen in die „verlorenen“ Szenen von „Metropolis“, lassen wir uns zwei Geschichten erzählen, die eine vom abenteuerlichen Fund des Materials für die vollständigste Fassung des Films seit seiner Uraufführung. Die andere von einer vollständig neuen Methode, Filmmaterial, das als bis zu 5 Prozent zerstört gelten muss, auf digitalem Wege Bilder zu rekonstruieren, die bis in die Lichtführung und die Kontraste dem entsprechen, was der Regisseur gedreht hat.
Über die Geschichte des Fundes berichtet Helmut Poßman, Vorstand der Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung, die die Restaurierungsarbeiten leitet, und es fällt ihm dazu zunächst das dezente Wort „kurios“ ein. Tatsächlich ist die ganze Geschichte, denkt man sich ein paar dramaturgische Kino-Tricks dazu, selber schon wieder filmreif: Fernando Pena, ein leidenschaftlicher Filmliebhaber, hatte gegen Ende der achtziger Jahre ein Gespräch mit dem Leiter eines kleinen Filmclubs in Buenos Aires. Der beklagte sich über die Mühen bei der Projektion einer Kopie von „Metropolis“. Mehr als zwei Stunden müsse er da neben dem Projektor stehen und auf den alten Film drücken, damit er nicht aus der Führung springt. Die „mehr als zwei Stunden“ waren entweder eine kleine Übertreibung eines gestressten Projektionisten – oder aber der Hinweis auf eine sensationelle Entdeckung.
Denn „Metropolis“, das ist auch die unglückliche Geschichte einer Filmverstümmelung von der man bis vor kurzer Zeit glaubte, sie sei unwiderruflich. Heute sehen wir in Fritz Langs Film gerne den Zeitgeist der zwanziger Jahre am Werk, eine Mischung aus Zukunftsangst und Vision, christliches, marxistisches und leider auch protofaschistisches Gedankengut in einer wilden Mischung. Zum Zeitpunkt seiner Uraufführung aber schien dieser teuerste deutsche Film bis dahin den Geschmack des Publikums gründlich zu verfehlen. Und auch die Kritik blieb, bei aller Begeisterung für die technischen Leistungen, höchst skeptisch. „Ein sachliches Thema grausam verkitscht. Effekte, nicht weil Weltanschauungen zu Explosionen drängen, sondern weil der Film seine Tricks will. Der Schluss, die tränenreiche Versöhnung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer – entsetzlich.“ So etwa vernichtete der Berliner Börsen-Courier am 11. Januar 1927 „Metropolis“ nach seiner Uraufführung. Bei dieser war der Film 4.189 Meter lang, was einer Dauer von etwa 204 Minuten entspricht. Nachdem Kritik und Zuschauer ihre Gefolgschaft verweigert hatten, wurde im Auftrag der Parufamet-Verleihfirma eine drastisch gekürzte Version zusammen geschnitten, die sich an eine Fassung anlehnte, für die der amerikanische Autor Channing Pollock verantwortlich zeichnete. Freimütig hatte er bekannt, sich auf die Handlung einen eigenen Reim gemacht zu haben. Als der Film in der neuen Fassung wieder in die deutschen Kinos kam, betrug seine Länge 3241 Meter.
Es dauerte sehr lange, bis „Metropolis“ aus seinen Ruinen und Fundstücken wenigstens so weit wieder hergestellt wurde, dass man die ursprünglichen Absichten der Regie erkennen konnte. Noch 2001 musste Enno Patalas der restaurierten Fassung, in denen auf die fehlenden Teile hingewiesen wurde, die Klage voranstellen: „Über ein Viertel des Films muss als verloren gelten“.
Schnitt nach Buenos Aires. Hier hatte die Erwähnung der langen Fassung von „Metropolis“ unserem Filmenthusiasten keine Ruhe gelassen. Doch die Suche ging zunächst einmal ins Leere, vermutlich hatte man bei der Leitung des „Mueseo del Cine“ Angst vor fremden Blicken auf mehr oder weniger sachgemäß gelagerte Schätze der Filmgeschichte. Erst als Paula Félix-Didier, früher einmal die Ehefrau von Fernando Pena, die Leitung des Filmmuseums übernahm, wurde die Suche intensiviert und hatte sehr rasch Erfolg: „Gerade einmal zwanzig Minuten waren nötig, um die verschollene 16mm-Kopie im Archiv zu finden“, so Helmut Poßmann. Bis freilich die Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung die Kopie endlich sichten und den Startschuss für die Restauration geben konnte, waren noch ein paar Telefonate, e-mails und Reisen über den Ozean nötig. Die Geschichte von einer beinahe originalgetreuen Kopie von „Metropolis“ war einfach zu schön als dass man sie auf Anhieb hätte glauben können.
Nun aber ist die Arbeit fortgeschritten. Die digital restaurierte Fassung wird die Berlinale eröffnen, zeitgleich wird es eine Aufführung in Frankfurt/Main geben, und auch die arte-Zuschauer werden einen Film sehen können, den sie so vorher noch nicht gesehen haben. „Zur Urfassung“, so Helmut Poßmann, „fehlen gerade einmal noch 140 Meter“.
Der Plot ist ja einigermaßen bekannt: In der Zukunft herrscht ein gewisser Johann Federsen über eine industrielle Weltstadt, in der sich die Arbeiter bis zur Erschöpfung an den gewaltigen Maschinen plagen müssen. Als Federsens Sohn Freder das Elend in der “Unterwelt” gewahr wird, stellt er sich auf die Seite der Rebellion, zumal er sich in die schöne Maria verliebt, die dort in den Katakomben ein urchristliches Ideal der tätigen Nächstenliebe verkörpert. Doch da gibt es auch noch einen Schurken, den Erfinder Rotwang, der mit Federsen noch eine persönliche Rechnung offen hat. Mithilfe eines Roboters, der die Züge von Maria erhält, nutzt er die Rebellion der Arbeiter für sich. Es kommt zur Katastrophe. Und am Ende, als Metropolis gerade noch dem Untergang entgangen ist, zu jener berühmt berüchtigten Versöhnung von Geist und Hand, vermittelt durch das Herz.
Eine Mischung aus Kolportage und Ideologie, wie gesagt. An ihr haben sich Generationen von Filmstudenten und Zeitgeschichtler abgearbeitet. Selbst die Filmhistorikerin Anke Wilkening, die das Restaurationsprojekt im Auftrag der Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung begleitet, bekennt freimütig, dass “Metropolis” in der bislang bekannten Fassung nicht gerade zu ihren Lieblingsfilmen gehörte.
Aber durch die neuen Szenen erhält vieles in dem Film neue Bedeutung. Der echte “Metropolis” ist emotionaler und menschlicher als das, was wir bislang als architektonisch kühnes Filmmärchen kannten. Besonders beeindruckend ist etwa die Szene, in der die Kinder aus der Unterstadt flüchten, die gerade – was erst in dieser vollständigen Version erkenntlich wird – durch das Wasser aus der Oberstadt geflutet wird. Diese Szene enthält beides, eine deutlich schärfere Kritik an der “Klassenstruktur” der Stadt, und eine emotionale Wucht, die möglicherweise nach der Meinung der Verleiher damals das Publikum überforderte. Auch heute geht die Szene noch einem an Katastrophenbildern geschulten Blick sehr nahe: Fritz Lang reizt die die Möglichkeiten zwischen Spannung und Mitleid wirklich bis zum letzten aus.
Beinahe ebenso wichtig in der neuen Fassung: Wir sehen, dass Metropolis von Menschen bewohnt wird. Die alten Fassungen zeigen einen “archetypischen” Konflikt, und schon von daher ist beim Ansehen immer etwas auseinander gebrochen: die Bewunderung für die visuelle Kraft des Films und das Kopfschütteln über die seltsame Ideologie (von der sich übrigens Fritz Lang später vehement distanziert hat). In der nun restaurierten Fassung entdecken wir nun die innere Verwandtschaft von Metropolis mit dem Berlin der zwanziger Jahre. Und darin Menschen, die ähnlich hin und hergerissen sind zwischen Lebensgier und Loyalität, Verantwortung und Mitlaufen. So ist die Nebengeschichte von dem Arbeiter Gregory, der ein Bündel Geld findet und träumt, wie er es mit den Frauen der Nacht durchbringt, nicht nur ein kleines Meisterwerk der Überblendungstechniken, sondern eröffnet eine ganz eigene Perspektive: “Yoshiwara”, die Amüsierstadt in der Stadt Metropolis, ist ein Traum in einem Traum. Es ist nicht nur eine Stadt der Täuschungen (die wir nun endlich dramaturgisch auflösen können), und der Versuchungen sondern auch pure Bildmagie. Mit den anderen Nebenfiguren und Nebengeschichten, die damals der Schere zum Opfer fielen, ergibt sich nun eine neue Sicht: Dieses Metropolis hat nicht nur eine äußere Gestalt, sondern auch ein Innenleben. Und Fritz Langs Film hat wieder, was ihm genommen worden war: eine Seele.
Damit sie sichtbar wird, mussten noch zwei Dinge geschehen: Das gefundene Material musste so bearbeitet werden, dass sich dieses innere Leben auch vermittelt. Dazu wurde ein eigenes Programm zur digitalen Verarbeitung beschädigter Filmbilder entwickelt. Thomas Bakels von Alpha & Omega sah sich angesichts des Materials aus Argentinien zunächst mit dem Diktum der „Unrestaurierbarkeit“ konfrontiert. Die Antwort war ein beherzter Schritt in die Zukunft der digitalen Bildbearbeitung. „Es geht darum“, so Bakels, „das Bild zu reparieren, ohne seine Integrität zu verletzen. Es darf keinen fremden Content durch die Bearbeitung geben, nicht ein einzige Pixel wird von uns verändert oder verletzt“. Wie das im einzelnen funktioniert, wird natürlich nicht verraten. Aber wir ahnen, dass auch ein Computer damit beginnen kann, Bilder nicht mehr bloß zu erkennen, sondern sie auch zu „denken“, und wenn es sein muss eben zuende denken, oder korrigieren, wie es der menschliche Blick tut. Nach der digitalen Bearbeitung wird das Ergebnis wieder auf Film kopiert, damit die Bilder wieder die originale Körnigkeit erhalten. Auch die natürliche Bewegung des Bildes bleibt erhalten. So erscheint der Film schließlich nicht wie eine zwar präzise aber kalte digitale Rekonstruktion, sondern so, als säße man gerade im Kino. 1927 vielleicht.
Und dazu trägt schließlich auch bei, was dem neuen „Metropolis“ den letzten entscheidenden Hauch der Seele gibt, die Musik. Immer war die Musik beim Umgang mit diesem Film bedeutsam, manchmal im guten, manchmal im weniger guten Sinne. Die Leitlinie bildet nun die Partitur der Originalmusik von Gottfried Huppertz, die Frank Strobel minutiös rekonstruiert und bildgenau mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Berlin einspielt. Wir werden „Metropolis“ nicht nur sehen, sondern auch hören ganz nahe an dem, wie es die Besucher der Berliner Premiere getan haben. Vielleicht mit einem kleinen Unterschied: Wir wissen, was wir an diesem cineastischen Meisterwerk haben, das wir beinahe verloren hätten.
Autoren: Georg Seeßlen, Markus Metz
Text veröffentlicht in ARTE MAGAZIN, Februar 2010
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