Normalerweise geht man ja nicht ins Kino, um sich einen handfesten Zorn- und Verzweiflungsanfall einzuhandeln. Sieht man einmal von der »Siehste, hab ich wieder recht gehabt«-Haltung ab, müssen Filme mit unangenehmen Wahrheiten und schmerzhaften Empfindungen schon triftige Gründe haben. Sie müssen einerseits sehr, sehr gut sein, und sie müssen andererseits etwas berühren, was ich mit mir herumschleppe, ganz direkt. Wie eine Wunde, um es mal pathetisch zu sagen.

Jerry jobt in einer Tankstelle, lebt mit seiner Familie in einem Schrottplatz, und in diesem Elend haben auch die kleinsten Zärtlichkeiten keine Chance. Er war Marine im Irak-Einsatz, und seine Frau wünscht wohl, er wäre nicht zurückgekommen, jedenfalls nicht so, als verbitterter, verzweifelter Verlierer, der zwischen Gewaltausbrüchen, Nasenbluten und Depressionen nicht mehr zu sich kommt.

Als er merkt, daß sie ihn betrügt, erschießt er sie und seine zwei Söhne. Nur das Mädchen kann er nicht töten. Jerry und Celina fliehen, finden eine neue Heimat, er hat einen Job in einem Diner, vielleicht eine neue Liebe, vielleicht ein neues Leben.

Eines Tages trifft er auf den Sheriff der Stadt, einer, der genau wie er selber, unter den Folgen des Krieges leidet, mehr als man aushalten kann. Vielleicht könnten die beiden Freunde werden, wenigstens einander helfen, das Vergangene zu bewältigen. Aber auch diese Hoffnung erfüllt sich nicht: die beiden Opfer müssen zu tödlichen Feinden werden.

Der Film »Badland« bleibt ganz dicht bei seiner Figur, bei ihren Untaten wie den Hoffnungen, wieder einen Platz in der Gesellschaft und im Herzen anderer zu finden. Bei der Sprachlosigkeit auch. Man sieht ihn aber immer wieder auch durch die Augen der anderen, vor allem durch die Augen eines kleinen Mädchens, das sich so sehr nach dem kleinen Glück, nach der Geborgenheit sehnt, nach einem lieben Gott, den der Vater so gründlich verloren hat. Die Figuren sind weder übererklärt noch müssen sie sich rhetorisch mißbrauchen lassen. Sie sind vom Bösen berührt und können nicht mehr zurück, und ob das Böse dieser Krieg war, oder ob es noch viel tiefer in ihnen und ihrem Land steckt, im Menschen des Jahres 2008 – wer mag das sagen? Jedenfalls berühren sich in einem solchen Film das genaue Detail und die fundamentale Frage, wie, sagen wir, bei Bresson.

Man spürt, wie dieser Film gemacht werden mußte, von Menschen wie dem Regisseur und Drehbuchautor Francesco Lucente, den Produzenten Olimpia Lucente und Jörg G. Neumann, von den Schauspielern Jamie Draven oder Joe Morton, das mußte gesagt und gezeigt werden, und diesen Film haben Menschen ganz direkt mit Leib und mit Seele gemacht. An manchen Stellen fängt er auch an, unter solcher Übermotivation zu ächzen.

»Badland« ist nicht frei von handwerklichen und dramaturgischen Fehlern, anders als die ebenso grimmige aber konzentrierte und ungeheuer disziplinierte Fabel von »Im Tal von Elah« entwickelt sich dieser Film eruptiv und in gewisser Weise selbstzerstörerisch, indem er in Wort und Bild anhäuft, was er zu sagen hat, statt es zu verdichten. Aber genau das gehört auch zu seiner Wahrhaftigkeit, er handelt nicht nur vom Zerbrechen, er zerbricht auch.

Mehr kritische Filme über das Heimkehren aus diesem Krieg sind in der letzten Zeit entstanden als man der »Traumfabrik« und ihren Filialen zugetraut hätte. Neben dem beeindruckenden »Im Tal von Elah« gehört noch die bei uns nur auf DVD erhältliche Produktion »The King oder Das elfte Gebot« dazu, die allerdings schon 2005 gedreht wurde. Da kommt ein junger Mann aus diesem Krieg zurück, der das Weltsystem eines evangelikalen Priesters und seines Sohnes zum Zusammenbruch bringt, indem er behauptet, sein unehelicher Sohn aus Mexiko stammend, zu sein.

Hier wie dort geht es darum, daß jemand, der nach dem Krieg nur Heimat, Geborgenheit, Familie sucht, gerade das nicht finden kann und deshalb ungeheuer destruktive Kräfte entfalten muss. Hat das Land einen kaputten Krieg begonnen? Oder ist ein kaputtes Land unfähig wenigstens den eigenen Opfern zu helfen, vom Rest der Welt ganz zu schweigen?

Alle drei Filme, so unterschiedlich sie im Einzelnen auch sein mögen, haben ein paar wichtige Dinge miteinander gemeinsam: Sie verzichten auf Helden und unschuldige Opfer, genau so aber auch auf einfache Feind-Bilder. Sie verfolgen die Schmerzensspuren des Krieges in die letzte Trost- und Hoffnungsinstanz hinein, in die Familie. Sie verfolgen Menschen, die nach dem Krieg das einzige verfehlen, was sie retten könnte, die Liebe. Sie verweigern alles, was nach einer »Lösung« aussieht, sie geben ihre Fragen an die Zuschauer weiter. Sie sehen ungemein genau und mit einer grimmigen Zärtlichkeit auf die Menschen, denen nicht mehr zu helfen ist. Sie erzählen nicht direkt vom Krieg, weil dessen Bilder schon enteignet sind. Es sind zugleich soziologische und transzendentale Bilder, es sind Tragödien.

Leider haben sie noch etwas miteinander gemein: In den USA, wo sie dann doch immer noch, was Zorn und Verzweiflung anbelangt, am entscheidenden Ort wären, will das Publikum sie nicht sehen.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in www.strandgut.de