Besuch im Elfenbeinschneckenhaus: Ein Film mit Peter Handke

Es regnet oft in diesem Film. Aber davon später. Dass zu Beginn von „Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“ ein gänzlich unscharfes Portrait-Foto von Peter Handke mählich deutlicher wird, durch einen Polaroid-Prozess der Entwicklung und in Farben, die wir schon nicht mehr kennen, das ist ein Versprechen, und ein bisschen frech ist es natürlich auch. Das Motiv wiederholt sich ein paar mal. Später wird klar, dass wir in einen privaten Fundus von Fotos blicken. Alles in diesem Film ist ein Spiel zwischen Annäherung und Offenbarung. Und natürlich vor allem über die Grenzen von beidem. Ein Film über Nahbarkeit.

Die Filmemacherin Corinna Belz, die sich auf ähnliche Weise auch dem Maler Gerhard Richter genähert hat (auch so ein Drastiker des Unscharfen), ist zu Besuch im Haus des Dichters Peter Handke in der Umgebung von Paris, da wo sich Stadt und Wald begegnen, und Handke lässt es geschehen, hier mit Gleichmut, dort mit Anstrengung, manchmal sogar gereizt, und dann auch wieder mit der ihm eigenen Mischung aus Gastlichkeit und Schroffheit, Beschreibung und Verweigerung.

Näherung (ohne Endpunkt, ohne Ziel) verspricht der Film immer wieder, sei es im Heranziehen der Kamera auf ein Manuskriptblatt, oder in der Musik, die gerne aus zunächst diffusen Klängen entsteht, sei es in der kompositorischen Anlage des Films, die von einer beinahe könnte man sagen: überfallartigen Gegenwart der Autorin, Corinna Belz, und der Kamera im Haus von Peter Handke zu immer weiteren Perspektiven und Ansichten gelangt, als ob es um eine Dialektik der Sichtbarkeit ginge, oder darum, dass ein Film über Peter Handke aus einer Montage von Handke-Bildern im doppelten Sinne entstehen müsste. Am Beginn steht auch der programmatische Satz von Handke, nach dem das Ich eine unzuverlässige Maschine zur Erzeugung der Welt ist. Dann Handke im Spiegel, (sich) fotografierend. Ein bisschen viel Programm schon zu Beginn, aber dem Autor wohl durchaus angemessen.

Dem großen Bild, ein Schneckenhaus oder einen mit allerlei Zeichen des Waldes und des Lebens gefüllten Elfenbeinturm betretbar zu machen, entspricht auch die Gegenwart der Filmemacherin, als nachfragende Stimme etwa, die auch einmal abgewiesen wird: „Ja, fragen Sie. Aber fragen Sie nicht mich“. Sie hält es aus und bleibt auf eine freundliche Weise hartnäckig. Das ist schon etwas.

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Handke, der Bewohner dieses Hauses und der Pilzesammler, der auf das Geräusch aufmerksam macht, das entsteht, wenn man Pilze mit dem Messer zerschneidet. Handke der Text-Arbeiter, der mit den vielen gespitzten Bleistiften, der noch nie in seinem Leben vor einem Computer gesessen hat. Handke und seine Familie, die sich entfernt hat, aber nicht zu weit, die Erinnerung an seine Mutter und ihren Selbstmord, die Begegnung mit der Tochter, der notwendige Blickwechsel dabei. Handke, der sich an die Frechheit in seinen jungen Jahren, den legendären Princeton-Auftritt etwa, mit leicht spöttischer Wehmut erinnert. Eine Entladung, die im Zorn auf Fragesteller zurückkehrt, aus der Zeit, wo er im blutigen Zerfall Jugoslawiens blitzrasch zum verachteten Außenseiter wurde: Gehen Sie mir nach Hause mit ihrer Betroffenheit. Stecken Sie sich die in den Arsch. Da ist er wieder, der (sehr österreichische) aggressive und auch derbe Peter Handke, und auch dies wird nun aus dem Abstand heraus beschrieben, auch in den Texten, bei denen sich das Französisch von Sophie mit dem deutschen Text, von Peter Handke gelesen, überlagert. Überhaupt sind solche Kunst-Stücke recht verbreitet bei der Filmemacherin, nur zum Beispiel Schnitte zwischen dem Schauspieler Rüdiger Vogler im Film von Wim Wenders, Peter Handke und Wolfgang Goethe, „Falsche Bewegung“ und dem aktuellen Peter Handke im Zug. Da geht der cineastische Kunstwille vielleicht etwas weit. Und da übersehen wir möglicherweise, dass Handke vielleicht auch nur zum Teil recht hat, wenn er das Leben des Schriftstellers als furchtbar und glückselig dem Leben zugeordnet ansieht, als Passion des Exzeptionellen. Vielleicht ist es auch eine furchtbare und glückselige Normalität. Texte und dazugehörige Zeichnungen, die vor der Kamera ihr Leben entfalten. Harte Arbeit, die nach einer Störungsfreiheit verlangt. Gegen Ende Handke, nicht wirklich bequem, wie man so sagt, auf einem Sofa, mit einer längeren Passage aus „Über die Dörfer“. Vorher ein langer Versuch, einen Faden durch ein Nadelöhr zu bringen. Kein Zweifel: Der Film möchte sehen wie ein Peter Handke-Text sieht, möchte Spiegelkammer sein und dabei immer seinen Gegenstand und sich selbst erklären. Das kann man gut finden oder nicht. Allerdings, wenn so viel Bedeutung produziert wird, kann es sein, dass man vergisst, selber zu sehen, zu hören und zu denken.

Und ja, der Regen. Nachts mit glitzerndem Asphalt. An den Fenstern beim Reisen. Zehn Minuten vor Schluss kommt der Wind dazu. Schon mehr ein Sturm. Da sind wir an dem Punkt, wo sich das alles begegnet, oder trennt, wie man es nimmt, das Leben und die Literatur, das Kino und die Welt, der Geburtstag des Kindes und der Tod der Mutter.

Was man begreifen mag, in der Literatur und im Film, dass es um Gegenwart oder, anders gesagt, um Gegenwärtigkeit geht. Die Frage ist: Was ist jetzt? Und „Jetzt“ entzieht sich immer wieder, will Vergangenheit werden, oder vergessen oder einfach übersehen. In vielen guten Momenten ist der Film wie eine Handke-Lektüre in filmischer Form. Aber manchmal möchte man auch am liebsten einen Peter Handke-Text hernehmen und ihn gerade gegen diesen Film lesen. Eher auf der Suche nach der Frechheit und nicht im Regenglanz der edlen Scheu.

Georg Seeßlen

Bilder: © zero one film

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