Richard Donner ist ein kraftvoller und effektsicherer Inszenator, dessen Filme gelegentlich wirken, als seien sie mit der bloßen Faust aus dem Steinbruch der populären Mythen gehauen. Er versetzt seine Figuren wie in den LETHAL- WEAPON-Filmen oder seine Stories wie in dem Fake-Western MAVERICK in aberwitzige Bewegung, läßt sein Publikum keinen Augenblick zur Ruhe kommen, gibt ihm aber doch immer zu verstehen, daß die Sache nicht allzu ernst gemeint ist. Physisches Kino mit einer Spannungsdramaturgie, die, einmal in Gang gesetzt, stets gleichzeitig mechanisch und unvorhersehbar abläuft, wie eine Maschine, die sich einen Spaß erlaubt und ihre Benutzer erschreckt, Subtilität ist Donners Sache nicht. Deshalb zeigt der von Andy und Larry Wachowski (Matrix) entwickelte Stoff zu ASSASSINS sehr genau die Stärken und die Schwächen dieses Regisseurs, der mittlerweile zu einem der Garanten für forciertes Mainstream-Kino aus Hollywood geworden ist.
Sylvester Stallone spielt Rath, einen Auftragskiller, der, zeitgemäß, seine Aufträge anonym vom Laptop abfragt, Lebensdaten und Bild des „Ziels“ über das elektronische Netz erhält, das die Welt mit unsichtbaren Fäden durchzieht. Er ist des Tötens müde, zumal er vor 15 Jahren seinen Freund erschossen hat. Aber die Gelegenheit zum Aussteigen scheint noch nicht gekommen, so nimmt er den nächsten Auftrag an, einen, der ihm zumindest moralisch keine Schwierigkeiten bereitet. Er soll einen Mafiaboß mit Kontakten zu den rechtsextremen Killerbanden in Kolumbien am Grab seines Bruders exekutieren. Für einen Profi wie Rath scheint das weiter kein Problem. Allerdings kommt ihm im entscheidenden Moment ein anderer zuvor: Ein junger Killer, der sich als Friedhofsgärtner getarnt hat, erledigt das Ziel. Antonio Banderas spielt diesen psychotischen Mörder Miguel Bain mit fiebriger Präsenz, als wolle nicht nur seine Figur das Geschäft, sondern auch der Schauspieler das Bild zugleich erobern und auflösen. Schwitzend und mit unartikulierten Lauten auf Erfolg oder Niederlage reagierend, ist er das ideale Gegenbild zu Stallone, der diesmal (fast) ganz auf die outrierten Potenzbeweise verzichtet, ein Mann, der lieber verschwinden würde, aber vom Wirbel der Ereignisse zur Tat gezwungen wird. Möglicherweise das erste Alterswerk der Stallone-Ikone. Seine einzige Chance gegen den jungen Konkurrenten, der ihn bewundert und ihn töten zu müssen glaubt, um selbst die Nummer 1 unter den bezahlten Killern zu werden, ist seine Ruhe.
Bain wird von der Polizei geschnappt, und Rath will sich schon über solchen Dilettantismus wundern, als der sich mit einem wahrhaft abgefeimten Trick und mit vollkommen hemmungsloser Brutalität befreit. Rath klaut ein Taxi und nimmt den Flüchtenden auf, und was auf der aberwitzigen gemeinsamen Flucht geschieht, ist ein Kabinettstück von Action und Spannungsdramaturgie. Am Ende gelingt Bain doch noch die Flucht, der Kampf, das weiß man, geht jetzt erst richtig los.
Dann erhält Rath sein neues „Ziel“, eine Frau, die in den Datennetzen wildert, Erpressung und Verrat durchführt, ohne ihre Identität preiszugeben. Mit Julianne Moore als Electra kommt eine dritte Variante ins Spiel. Sie scheint ebenso hilflos und einsam (einzig zu ihrer Katze gibt es eine emotionale, fast manische Beziehung) wie sie gefährlich ist. Denn wie bei den Männern mit den Tötungswerkzeugen ist ihr der Computer und die Videokamera ein Mittel, den tiefen Bruch mit ihrer Umwelt auszudrücken und sadistisch zu bearbeiten. Drei Modelle der Einsamkeit in der Welt der neunziger Jahre treffen sich da, the good, the bad and the ugly all over again, diesmal freilich nicht in der Posthistoire des Italowestern, sondern im vertrauten Ambiente der postmodernen Stadtlabyrinthe und als Ausdruck des Spätkapitalismus, in dem man die physische und psychische Identität des Nächsten zur letzten Ware erklärt hat.
Die Würfel sind gefallen. Als Rath auf Electra trifft, hinter der auch Bain her ist, beschließt er, anstatt zu ihrem Mörder zu ihrem Beschützer zu werden. Und während sich ein gefährliches Spiel mit seinen anonymen Auftraggebern entwickelt, bei dem, trotz allem Mißtrauen, Electra und er schließlich zur Zusammenarbeit (und natürlich zur Liebe) finden, läuft alles auf das große Showdown zwischen den beiden Hitmen hinaus, das in dem mittlerweile verfallenen Hotel in San Juan stattfindet, von dem aus Rath seinerzeit den Mord an seinem Freund beging. Und dieses Duell ist wirklich brillant in Szene gesetzt, da hat Hollywood seine John Woo-Lektion schon gelernt. Und es vergißt sie auch gleich wieder im diffusen Drehbuch-Ende, wo die Über-Konstruktion der Intrige das Fundamentale dieser Auseinandersetzung wieder zerstört.
ASSASSINS ist auch ein Film der Orte, so klar wie die Geometrie der Figuren ist auch die Gegenüberstellung der Schauplätze: das Wohnwaben-Geflecht von Hotels und Wohnanlagen mit ihren elektronischen Überwachungsanlagen und ihren verzweigten Versorgungs- und Kommunikationskanälen: das wolkenverhangene schmutzige Stadtambiente des amerikanischen Nordwestens, die helle und klare, gleißende und unbarmherzig luzide Welt des Platzes von San Juan, eine schon genialische Gegenüberstellung von Innen/Außen-und Dunkel/Hell-Zuständen, die so etwas wie eine innere Klärung, den Weg von einer postmodernen Unübersichtlichkeit zu einer archaischen Eindeutigkeit beschreibt. Und Vilmos Zsigmond hat dafür grandiose Bilder gefunden, die freilich auch oft ein wenig ins Leere laufen, sich von der Story entfernen, um eine Wirkung einfach für sich zu suchen. Zsigmond, so scheint es, findet gerade jene dunkle Poesie der Orte, die Donners Figuren nicht zu sehen imstande sind.
Bei alledem freilich müssen wir uns mit dem Reiz der Oberfläche zufriedengeben. ASSASSINS zeigt seine Personen in der neuen, extremen Form von Entfremdung, in der die Menschen die Distanz zwischen sich nur im Datennetz und über das Zielfernrohr überbrücken können. Das sinnliche Leben wird zur verräterischen Spur: Antonio Banderas‘ Killer ist ein Raubtier, das seine Beute am Geruch erkennt. Rath findet Electra, sein „Ziel“, weil sich ihre Zuneigung zur Katze auch in Materie äußern muß (zum Beispiel in Thunfisch-Dosen). Und Atem, Schweiß und Blut sind den kämpfenden Männern immer wieder Warnung und Verrat. So wird auf einer dritten Ebene die Intrige zu einem Modell des Kampfes zwischen Körper und Medium; noch einmal entfesselt das Kino den Körper gegen das, was es zerstören kann, die elektronischen Mehrwege-Konnektionen.
In dieser Verhandlung der Verhältnisse und der Wahrnehmung steckt nicht nur eine fundamentalistische Revolte des Kino-Bildes von der physischen Realität, sondern auch ein gehöriges Stück Ideologie. Am Ende hat nicht nur der „alte“, mit einem Rest von Loyalität und Moral ausgestattete Killer über den „jungen“, den pathologisch-ästhetischen Killer gesiegt (und dabei in alter Manier sein Lebenstrauma überwunden), auch die in die Kommunikationssysteme entkommene Frau hat sich wieder der Macht der Männerkörper und ihrer direkten Gewalt unterworfen.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd film 11 /95
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