Everest-680

Mit dem Bergfilm im Allgemeinen und mit dem Bergsteigerfilm im Besonderen ist das so eine Sache. Schmal ist der Grat zwischen Superkitsch und Mythenmurks, hier gähnt eine Authentizitätsfalle und dort der überständige Heldenkult. Da dräuen brünftige Ideologiewolken und es weht ein Phrasenwind (Auf den Berg muss man hinauf weil er da ist). Und auf dem heroischen Gipfel, da weiß man nicht mehr weiter, und es beginnt der Abstieg, entweder in die Katastrophe oder in die Langeweile.

Es gab Zeiten, da konnte sich der Bergfilm noch auf die Schwierigkeiten herausreden, die man bei seiner Herstellung überwinden musste. Auf ein „alles echt“ und „selbst erlebt“. Da verzeihen wir glatt dem Arnold Fanck seine mystischen und schwülstigen Dreingaben, sogar die Leni Riefenstahl verzeihen wir ihm hier oben am Berg. Aber dann?

Es gibt wunderschöne Bergfilme, damit keine Missverständnisse entstehen, und auch ein paar ganz hübsche Bergsteigerfilme gibt es. Aber ehrlich gesagt, wenn jemand auf die Idee kommt, mit den Mitteln eines Star-gespickten 3-D-Blockbusterfilms eine katastrophal endende Mount Everest-Expedition zu dokumentieren, deren unglückseliges Ende mehr mit einem absurden Massen-Ansturm auf den Berg als mit bergsteigerischem Heldentum zu tun hat, dann hätte man einem Regisseur doch gern gesagt: Mach’ das nicht!

Aber auf uns hört ja niemand. Baltasar Kormákur ist so ziemlich in jede Falle getappt, die ein Film dieses Genres unter diesen Produktionsbedingungen zu bieten hat. Sein EVEREST ist zusammengesetzt aus „Originalschauplätzen“, Stand-Ins wie die europäischen Alpen, Reproduktionen und Simulationen. Durch die 3D-Brille sieht das, wenn von weit oben die verschiedenen Expeditionsgruppen an ihren Seilen gezeigt werden, oft aus wie eine Mischung aus Computergame und Modellspielzeug. Nie erzeugt die Montage der Effekte eine kohärente Topographie. Man weiß nicht, wo man ist, und es ist auch egal. Denn die Leute in dem Film reden zwar davon, wie mächtig und unzugänglich der Berg ist, aber Kamera und Schnitt von „Everest“ sind die ersten, die das vergessen. Dieser Film hat in Wahrheit nicht den geringsten Respekt vor dem Berg.

Zur Sache: Am 10. und 11. Mai des Jahres 1996 wurden insgesamt mehr als 30 Bergsteiger aus verschiedenen Gruppen von einem furchtbaren Schneesturm überrascht. Auf- und Abstieg verzögerten sich unter anderem, weil sich veritable Staus gebildet hatten und es an Sauerstoff fehlte. Acht der Bergsteiger kamen ums Leben, darunter auch die erfahrenen Expeditionsleiter. Manche Rettungsversuche gelingen, andere scheitern. Im Basislager und bei den Familien daheim wird der Schrecken zur Gewissheit.

EVEREST folgt eher der Dramaturgie des Katastrophenfilms als der des Bergfilms. Das heißt unter anderem, dass er nicht technisch sondern melodramatisch funktioniert. Und dass er hemmungslos salzstangenpsychologisiert. Und das obwohl eine seiner Quellen ein Bericht von Jon Krakauer ist („Into Thin Air: A Personal Account of the Mt. Everest Disasters“), der im Übrigen im Film einen eher unbedarften Eindruck macht und dessen Rolle von Drehbuch und Regie auch kein weiteres Interesse entgegen gebracht wird.

3-D und IMAX-Optik killen den Rest an Glaubwürdigkeit und Empathie; da schrumpft der Berg, statt zu wachsen, zum Gelände für eine Art Themenpark-Achterbahn mit Effekten, die noch den Hartgesottensten Höhenangst vermitteln sollen. Tun sie aber nicht, weil man keinen Augenblick glaubt „wirklich“ am Berg zu sein. Das ist die Bilderfalle dieses Verfahrens: Nun sieht sogar das Echte noch künstlich aus.

Müssen also die Schauspieler für suspension of disbelief sorgen; sie tun ihr Bestes, doch auch das, was die wirklichen Bergsteiger damals taten: Sie stehen sich gegenseitig im Weg. Jeder macht sein Ding, jeder möchte gern teamtauglich sein, aber keiner hat eine dezidierte Haltung zu dem ganzen Projekt. Deshalb spielt man ein bisschen Abenteuerlust, ein bisschen Wahnsinn, ein bisschen Zynismus und ein bisschen Hawksschen Professionalismus, und auch da geht das Ganze nicht auf.

Robert Markowitz hat im Übrigen 1997 schon eine genauere Verfilmung von „Into Thin Air: Death on Everest“ vorgelegt, und der Discovery Channel führte schon einmal in einer Art von Reality Soap Opera mit mehr oder weniger spektakulären Everest-Aufnahmen in die merkwürdigen Träume der Leute, die ihr Leben an einem überfüllten Berg riskieren. EVEREST war also nicht einmal richtig notwendig.

Immerhin mag es ein unterhaltsamer Popcorn-Abend für Menschen sein, die wirklich nicht wissen, was ein Berg ist.

Bilder: Universal

Georg Seeßlen

Text zuerst veröffentlicht in Strandgut 09 / 2015