Eine Feel-Not-So-Good-Komödie Jason Reitman (»Thank You For Smoking«) hat eine clevere Methode entwickelt, sich den amerikanischen Albträumen zu nähern. Er balanciert haarscharf zwischen den gewöhnlichen und gewöhnlich symptomatischen Peinlichkeiten des Alltags und den echten biographischen und sozialen Katastrophen. Auch »Young Adult« ist eine etwas dunkle, ziemlich mutig gegen den Mainstream gezielte Feel-Not-So-Good-Komödie, bei der es eigentlich wenig zu lachen gibt, mit einer wie immer wunderbaren und wunderbar wandelbaren Charlize Theron in einer Rolle, die ihr vielleicht wirklich auf den Leib geschrieben wurde. Alle Beteiligten, vom Regisseur bis zu den Nebendarstellern, von der Ausstattung bis zur Musik-Auswahl (Teenage Fan Club, genau am richtigen Punkt eingesetzt, zum Beispiel) zeigen ihr Bestes. Warum ist »Young Adult« aber nicht das Meisterwerk geworden, das tief in den Möglichkeiten von Stoff und Besetzung gesteckt haben muss?
Die Geschichte ist sehr einfach, auf den ersten Blick. Mavis Gary, 37 Jahre alt, geschieden und allein, hat es mit einem erheblichen Alkoholproblem und einer beruflichen Krise zu tun: Sie ist eine anonyme Autorin der »Young Adult Novel«-Serie »Waverly Prep«, die sich nicht mehr verkauft und bald eingestellt werden soll. Mit ihrem letzten Manuskript ist sie erheblich im Rückstand. Als sie eines Tages eine Mail von ihrem Highschool-Geliebten Buddy Slade mit einem Bild seines neu geborenen Baby bekommt, packt sie ihr Hündchen und ein paar Klamotten und fährt von Minneapolis in ihren Heimatort Mercury. Mavis ist überzeugt, dass sie und Buddy füreinander bestimmt sind. Aber dass sie ihn für sich zurückhaben will, koste es was es wolle, ist schon mehr als eine fixe Idee. »Borderline« nennt man so etwas wohl. In Mercury trifft sie erst einmal auf Matt Freehauf, den ›hate crime guy‹, der verkrüppelt ist, seit ihn die tüchtigen amerikanischen Highschooljungs halbtot schlugen, weil sie ihn für schwul hielten. Zwischen beiden entsteht so etwas wie eine Freundschaft, aber Matt kann sie so wenig von ihrem Alkoholkonsum wie von ihrem Plan abhalten, Buddy aus seiner Ehe und Familie zu »befreien«. Auch eine Begegnung mit den Eltern und ein Besuch im Haus ihrer Kindheit läuft nicht gerade harmonisch ab. Schon nach dem ersten Treffen fühlt Buddy sich von Mavis’ Nachstellungen verunsichert, trotzdem lädt er sie zuerst zu einem Konzert, bei dem seine Frau als Drummerin einer Frauen-Rockband auftritt und dann noch zur ›naming ceremony‹ für das Baby ein, auf der es dann vollends zum Eklat kommt. (In Wahrheit war nicht er es, der sie eingeladen hat, sondern seine Frau Beth, aus Mitleid.) Sehr drastisch steht da die betrunkene und begossene Macy der sich schließenden Phalanx der mehr oder weniger zufriedenen Kleinstädter gegenüber. Ein wenig abrupt kommt dann ein Schluss, von dem man nicht wissen muss, ob es ein Happy End, die endgültige Lösung der Heldin von ihrer traumatischen Jugend in Mercury, bedeutet oder doch nur die Rückkehr in das Elend ist, aus dem sie sich befreien wollte.
Der Stoff des Drehbuchs gäbe wohl eine gute Kurzgeschichte ab. Bei einem langen Film dagegen hat man öfter mal das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Irgendwie geht der Film nie richtig los, aber das passt natürlich zur Schilderung eines elend festgefahrenen Lebens. Dafür prägen sich die Bilder der körperlichen und seelischen Verkrüppelungen tief ein, zeigt sich in dieser tiefschwarzen Americana das Glücksversprechen von Karriere, Familie, Homecoming Queen und Provinzidylle verstörend brüchig. Dabei geht es um Wege, »richtig« erwachsen zu werden, so oder so, und am Ende lässt Mavis das auch für ihre Roman-Figur zu; sie lässt sie los wie sie Mercury losgelassen hat, und das könnte wirklich der Beginn eines neuen Lebens sein.
Reitman sieht sich diese Geschichte einer beinahe ewigen Adoleszenz als Lebensfalle mit einer Mischung aus Neugier und Zärtlichkeit an. Die Hoffnung, die der Plot den Figuren macht, wird in den Detailbeobachtungen beinahe wieder zurückgenommen. Und darin wird die eigentlich sehr individuelle Geschichte auch wieder zum Zeitbild. Vielleicht ist die amerikanische Gesellschaft derzeit wirklich eine, in der es fast unmöglich ist, erwachsen zu werden. Und die unsere?
Fragen wir was Leichteres. Zum Beispiel, warum »Young Adult« dann eben doch nur ein recht guter Film, aber kein Meisterwerk geworden ist. Möglicherweise liegt das daran, dass er sich zu sehr auf die Hauptfigur konzentriert und den Nebenfiguren, so interessant sie sein mögen, keine Autonomie verschafft. Alle Dinge – und es gibt eine Menge Dinge in diesem Film – haben ihre Bedeutung, weisen auf etwas hin, sind irgendwie charakteristisch. Das gibt dem Ganzen einen zwar ganz leicht surrealen Touch (nicht zuletzt in Matts Whisky- und Plastikfiguren-Hölle), nimmt ihm aber auch alle Leichtigkeit der Beobachtung. Ein bisschen zeigt der Film zu viel, und läßt uns zu wenig sehen. Klar, Mavis ist in einer Welt gefangen, die wie das Negativ einer ihrer Romane ist. Romane, auf denen nicht einmal ihr wirklicher Name steht.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.strandgut.de
Young Adult
USA 2011 – Regie: Jason Reitman – Darsteller: Charlize Theron, Patrick Wilson, Patton Oswalt, Elizabeth Reaser, J.K. Simmons, Emily Meade, Collette Wolfe, Brady Smith, Hettienne Park, Louisa Krause – FSK: ab 12 – Länge: 94 min. – Start: 23.2.2012
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