Vom Erwachsenwerden
Eine leichte, aber nicht seichte, leidenschaftliche, aber nicht exzessive, eigensinnige, aber nicht anstrengende, sympathische, aber nicht ranschmeißerische, freundliche, aber nicht unkratzbürstige Sommer-Komödie/Tragödie mit dem notwendigen Schuss von gesellschaftlicher Reflexion. Was will man mehr, wenn einen die Hitze ins Kino treibt und man echt keinen Bock auf Superhelden-Kloppereien und Weltuntergänge hat? Menschen-Kino, wie es immer noch die Franzosen am besten verstehen.
Es ist die Geschichte einer Mutter (Isabelle Huppert) und ihrer 22jährigen Tochter (Lolita Chammah, im richtigen Leben ebenfalls Tochter der Huppert), die sich gerade heftig auseinanderleben, nachdem sie so lange »unzertrennlich« waren, wie Babou einem Freund erklärt. Das ist kein großes Wunder, denn unterschiedlicher können die Lebensstile kaum sein: Babou ist flippig, unorganisiert und hat ganz persönlich mit bürgerlichen Werten wie Karriere, Heirat und Ordnung gebrochen. Außerdem ist sie pleite. Ihre Tochter Esméralda dagegen möchte die verpeilte Mutter, die immer noch so auffällig geschminkt und unbekümmert durchs Leben schlendert, am liebsten aus ihrem eigenen weiteren Lebensweg in eine ganz normale kleinbürgerliche Ehe heraushalten. Von nichts träumt sie, nach dem anstrengenden unsteten Leben mit der Mutter mehr als von schöner, spießiger, übersichtlicher Ordnung, und um die nicht zu gefährden behauptet sie, die Mutter sei auf einer langen Reise nach Brasilien.
Die Kränkung sitzt tief, und Babou beschließt, zumindest das mit der Karriere nachzuholen (schon weil sie sich, was die Kosten der Heirat betrifft, nicht lumpen lassen will) und bekommt – eins dieser kleinen Wunder, derentwegen man ins Kino geht – auch sogleich einen tollen Job bei einer Immobilienfirma. Mit dem geborgten Wagen ihrer Freundin macht sie sich auf den Weg nach Ostende, wo sie Wohnungen im »Timesharing« verkaufen soll. Ein ziemlich windiges Geschäft und ein anstrengendes Leben mit einer Kollegin zusammen in einer kleinen, halbfertigen Wohnung in einem gewaltigen, hässlichen Komplex am Strand. Ein Treffen mit der Tochter geht dann gründlich schief, weil Babou ein junges Tramper-Paar adoptiert hat, das für Esmeralda nur die abfällige Bezeichnung »Loser« verdient. Spätestens hier wird klar, dass es sich bei »Copacabana« nicht allein um ein Feelgood-Movie über flippig-egoistische Mutter und spießige Tochter handelt, die sich beide auf den letzten Schritten zum Erwachsenwerden etwas entgegenkommen müssen, sondern auch um eine kleine Studie über Klassenverhältnisse und Lebenswerte.
Doch von dem Anfall von psychosozialer Tristesse erholt sich der Film rasch. Er lässt Babou einen Geliebten finden und wieder verlieren, eine Traumkarriere beginnen und wieder abstürzen (das Immobiliengeschäft ist ein rauhes), von Brasilien träumen und ins Kasino gehen, die drohende Trennung der Tochter vom Bräutigam verhindern, und am Ende gibt es auch eine Versöhnung von Kleinbürgerhochzeit und Copacabana-Traum.
Ist natürlich alles manchmal ein bisschen dick aufgetragen, vom indischen Essen, das Babou nach einem Buch aus der Bibliothek für die Tochter bereitet, über die sympathisch antibürgerlichen Strand-Hippies bis zur aufgedonnerten Tropicana-Tanztruppe, aber es hat zugleich einen durchaus ernsten Hintergrund, aus dem, ohne dass man das übertreiben sollte, ein klein wenig wohl von der Biographie der Darstellerinnen durchschimmert. Es ist eben so eine Sache mit dem Wunsch nach Freiheit und der Sehnsucht nach Geborgenheit.
Der Film gehört der großen Huppert, die nicht nur über ein gewaltiges mimisches Repertoire für jemanden verfügt, der nicht ganz von dieser Welt ist, und dann doch mitten in ihr drin steckt, sondern mit ihren langen Armen auch eine bewundernswerte gestische Vielfalt für das Selbstbezogene und das Weltbegreifen liefert. Auch sie nimmt diesen Film leicht, der nicht viel mehr sein will als ein cineastisches Sommerspiel. Eine Lockerungsübung, der man sich mit Vergnügen und bestem Gewissen hingeben kann.
Georg Seeßlen
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